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Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior

Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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Lyranthe für sich sprechen. Seine Finger seufzten über die Saiten und brachten ein niederprasselndes Moll-Arpeggio hervor, dem eine Melodie folgte, so dicht und doch so transparent wie ein Zauber. Noten kletterten aufwärts, wirbelten durcheinander und verschmolzen, bis die Zuhörer in einem Netz gemeinsamer Spannung gefangen waren.
    »Ihr werdet Euch sicher ernüchtert fühlen, wenn er das Ende dieses Liedes singt«, sagte Medlir auf seinem Weg zur Tür zu Dakar.
    Der Wahnsinnige Prophet war zu betrunken, mehr als ein Grunzen zur Antwort zu geben. Statt seiner riskierte der Goldschmied neben ihm einen Kommentar: »Wie das? Wird uns denn nicht der junge Kriegsheld rühren, dieser blonde Prinz aus dem Westen?«
    Medlir preßte die Lippen aufeinander, ehe er sagte: »Was ist ein Krieg schon anderes als ein Massaker?« In dem drängenden Rhythmus der folgenden Akkorde schüttelte er sein innerliches Unbehagen ab. »Selbst ohne jede Lyrik, ohne eine Geschichte, könnte Hallirons Melodie eine Statue zum Weinen bringen.«
    Zweifel zeigten sich in der Miene des kahl werdenden Goldschmiedes; und während Medlir auf seinem Weg zum Stall in der Menge verschwand, zupfte Dakar an seinem Bart, verwirrt von dem sonderbaren Gedanken, daß die Augen von Hallirons Schüler eine andere Farbe als Graubraun haben sollten.
    Dann stimmte Hallirons wundervolle Stimme in die glänzende Brillanz seines Spieles ein, mitreißend, volltönend und unendlich klar; unter ihrem Bann wurde jeder der Zuhörer an einen Frühlingsmorgen entführt, an dem sich der Nebel über dem Sumpfland am Flusse Tal Quorin gerade gelichtet hatte. Zehn zu eins überlegen marschierte eine Stadtgarnison gegen die im Wald geborenen Clanblütigen, die es gewagt hatten, Arithon s’Ffalenn, dem abtrünnigen Prinzen von Rathain, auch genannt der Herr der Schatten, Zuflucht zu gewähren.
     
    Welch’ Recht führt Krieg um eines Mannes Leben,
    Der zu Etarra hat kein Blut vergossen,
    Nur schützend des gehetzten Prinzen Schatten fielen,
    Sollt’ doch kein Mann für ihn sein Leben lassen.
     
    Geräusche erklangen, das unbehagliche Scharren von Füßen, das Knirschen gequälter Bohlen, leises Flüstern über Hallirons Kunst, gerade verhalten genug, um keinen Zorn der anderen Zuhörer zu erzeugen. Denn diese Ballade erzählte nicht von einem vielgeliebten Retter, geschmückt mit Gold und Saphiren, der mit seinen lichten Blitzen rechtmäßige Vergeltung übte. Diese verhaltene, mitreißende und tragische Abrechnung sprach nicht von einem strahlenden Helden, sondern nur von Männern, die, verderblich ihrem eigenen Haß ausgeliefert, die erste Gelegenheit beim Schopf ergriffen hatten, ihre langjährigen Feinde auszulöschen.
     
    Oh, Lord Steiven, Herr des Nordens,
    wer soll nun weinen,
    Um das Heim, das dein Volk so schutzlos ließ,
    Vergebens bat der Prinz um Freiheit
    und konnt’ doch nicht gehen,
    Seine Getreuen aber das Schicksal selbst zu bleiben hieß.
     
    Wie Hammerschläge peitschten Noten die Luft. Niemand sprach ein Wort. Niemand bewegte sich noch, als die Ballade ihre Botschaft preisgab, jede Strophe neue Verse der Scheußlichkeiten offenbarte. Kein Heldenmut, nur Verzweiflung, hatte den Herrn der Schatten getrieben, seine Gaben zur Verwirrung und Behinderung der Feinde zu nutzen. In unsäglichem Maße hatte er sie gerufen, eine hoffnungslose Verteidigung zu wirken, nachdem das gestaute Wasser des Tal Quorin freigesetzt worden war, um sich in wildem Strom über die eingekesselte Garnison Etarras zu ergießen. Auch hatte es keine Rache gegeben, nur grausige Gewalt, als Überlebende der Kopfjäger einen brutalen Überfall auf das Lager verübten, in dem sich nur die Frauen der Clans mit ihren Kindern verbargen. Die Orgie der Vergewaltigungen, die dazu gedacht gewesen war, ihre Beschützer zur letzten Abrechnung herbeizulocken, hatte ein schnelles und furchtbares Ende gefunden.
     
    Zu Deshirs Tod, Prinz Arithons Verderben,
    Ließ Lysaer seines Lichtes Gabe frei,
    Verbrannten sechzig Unschuld’ge Leben,
    Im Dienst der Gnade und Gerechtigkeit.
     
    Hallirons Stimme füllte die abgestandene Luft mit Bildern, geboren aus Schrecken und Trauer. Mit unbeugsamer, lyrischer Empfindsamkeit erzählte seine Lyranthe von dem sinnlosen Morden und der entsetzlichen Vernichtung. Getrieben von dem Nebelgeist waren in Deshir die außerordentlichen Gaben zweier Prinzen aufeinandergeprallt und hatten unfaßbare Verluste herbeigeführt und doch nichts bewiesen oder gar

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