Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
seiner Sinne beraubt, tat er mehr, als nur die Noten zu schlagen. Er wurde eins mit den Klängen, und der sanft gesponnene Faden der Melodie spannte sich zwischen seinen Händen und seinem Herzen. Wie ein Rascheln in der Dunkelheit hörte er die dissonante Hitze der Qualen, die Jaelot war; und jenseits dieser Dissonanz erwachte in seinem Spiel noch etwas anderes, ein traumverlorenes Wispern unterdrückter Melodien, die beinahe völlig überhört worden waren.
Leichte Bitterkeit zerrte an seinen Nerven, und der Teil von ihm, der ein Prinz derer zu s’Ffalenn und ein Herr der Schatten war, fürchtete sich davor, dieses Lied zu Ende zu bringen, dieses Lied, welches doch das einzige war, was ihn davon abhielt, sich gewaltsamen Akten zu ergeben, und so spielte er weiter, umklammerte diesen spärlichen Rest des Trostes. Gleich willigen Dienern enthüllten seine Finger die verborgene Weise jener neuen Klänge. Die heraufdämmernde Veränderung der Melodie erregte selbst die ursprüngliche Wahrnehmung der Naturgewalten. Gefangen in unerwarteter Verzückung von einer Harmonie, hervorgerufen aus Substanz und Fleisch, erfuhr Medlir einen lichten Blitz der Inspiration. Willig übergab er sich der reißenden Strömung der Erkenntnis und der klingenden Weise, die schlummernd in den alten Mauern Jaelots gewartet hatte und sich nun in neuem Leben regte und Besitz von ihm ergriff.
Festgekettet an den Stahl, der sich in harmonischer Resonanz erwärmte, erfuhr Dakar eine herzzerreißende Freude, die ihm einen Aufschrei reinster Verwunderung entrang. Er sah auf und erstarrte in ehrfürchtigem Schrecken, denn die Klänge, die Medlir den Saiten in einer weißgoldenen Blüte wiedererwachter Magie entlockte, waren bitterlich, ja furchterregend unheimlich. Irgendwie hatte die Gabe des Barden die verlorenen Klänge berührt, zu denen einst die Paravianer zur Feier der Sonnenwende getanzt hatten.
Wie Wind, der im Riedgras spielte und ihm seine Weise entlockte, fügte der Musiker den Klängen des Instrumentes seine Stimme hinzu; und inmitten des Palastes des Statthalters in einem gleißenden Aufflammen magischen Lichtes griffen die geisterhaften Gestalten verstorbener Riathan Paravianer erneut auf die alten Muster zurück. Keiner der anwesenden Sterblichen konnte sich ihrem Anblick entziehen. Fahle Gestalten gleich gesponnenen Spinnfäden, verhüllt von den verschlungenen, glänzenden Erdenkräften, die im Mittelpunkt emporstiegen, sie zu umrahmen, wirbelten Einhörner in ätherischem Glanze durch das magische Gewebe der Musik. Dieses Schauspiel war geeignet, jedem, der Zeuge davon wurde, Geist und Atem zu rauben, ihn dahinschmelzen zu lassen im Angesicht dieser Grazie und Schönheit. Ekstase, erfüllt von endlosem Glück, paarte sich mit einem grimmigen Stich im Herzen, einem nagenden, unerträglichen Kummer angesichts der Erkenntnis, daß in allen Königreichen Atheras kein lebendiges Phänomen existierte, das diesen Kreaturen, deren geisterhafte Präsenz von so unendlicher Reinheit kündete, vergleichbar war.
»Ath, o Ath, laß sie los«, flehte Dakar.
Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in der Festhalle teilte seinen Schmerz; von den kleingeistigen alten Klatschbasen bis zum erfahrensten Gardehauptmann, vom reichsten Händler bis zu dem niedersten Küchenjungen war ein jeder gleichermaßen betroffen. Der Gardesoldat, der Halliron niedergeschlagen hatte, kniete entsetzlich beschämt am Boden und ließ seinen Tränen freien Lauf. Bar jeden Stolzes klammerte sich der Statthalter von Jaelot hilflos schluchzend in die Arme seiner sorgenvoll demütigen Gemahlin.
Hingerissen im Taumel der Verzückung, die zuviel für das Wesen der Sterblichen war, bemerkte der Musiker, der Instrument und Flamme dieses wiedererwachten Bittgebetes der Mysterien war, nichts von der zerfaserten Eitelkeit seiner Peiniger. Schon lange hatte er seine Selbstwahrnehmung den überwältigenden Anforderungen dieser reinen Melodie überlassen, und sein Spiel umrahmte Luft und Erde und brachte wallende Vibrationen hervor.
Voller Schrecken hing Dakar an seinen Fesseln. Weit gebildeter als die von der Magie gefangenen Bürger Jaelots, wußte er, daß die Rituale anläßlich der Sonnenwende, die die Paravianer einst abgehalten harten, einem anderen Zweck als nur dem des Feierns gedient hatten. Als er noch ein Knabe gewesen war, bevor der Nebelgeist sich Atheras bemächtigt hatte, war er Zeuge eines Rituales gewesen, das die magnetischen Energien in wechselnden
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