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Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior

Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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Kraftströmen gebunden hatten, die sich aus ihren Wegen lösten und durch die Lande flossen, um den grünen Hügeln Fruchtbarkeit zu verleihen. Unzählige steinerne Monumente, lebendige Bäume und naturgewachsene Markierungen hatten den Strom der Energien geführt, wie das wohlausgewogene Netzwerk, das das gebannte Volk von Jaelot schon vor langer Zeit verunstaltet und mit neuen Mauern und Pflastersteinen zugedeckt hatte.
    Mit einem Unbehagen, reiner Angst nicht unähnlich, fühlte der Wahnsinnige Prophet, wie dieser Nexus der Energien, der durch Medlirs Spiel wiedererweckt worden war, zu einem Punkt überlegener, ausbalancierter Macht heranwuchs. Das Mysterium würde dem Ruf der Melodie antworten und seine alljährliche Passage wieder aufnehmen, ohne sich um die Narreteien der Sterblichen zu kümmern oder um die Bauwerke, die aus Unkenntnis auf seinem Weg errichtet worden waren.
    »Nein«, rief Dakar. »Medlir, bringt die Saiten zum Schweigen!«
    Seine Warnung verklang ungehört.
    Der einzige Mann, der blind gegenüber der Schönheit der Geistgestalten war, der einzige, der taub war, der Musiker selbst ergab sich noch immer seinem Spiel, und sein ganzes Wesen war nun verwoben mit dem komplizierten Rhythmus des Tanzes.
    Während nun die Melodie ihre Tonart änderte, um die Litanei auf ihren Höhepunkt zu treiben, senkte der Wahnsinnige Prophet verzweifelt den Blick, und da sah er voller Schrecken, gepeinigt von einer die Gedärme zerfressenden Furcht, daß Medlirs braunes Haar nun plötzlich glänzend schwarz wie das Gefieder eines Raben war.
    Wie Wachs über einer heißen Flamme war seine falsche Identität unter der unbefleckten Woge reiner Energien geschmolzen. Schockiert angesichts dieser Erkenntnis, schaute der Wahnsinnige Prophet jenes Mannes unverschleierte Gestalt.
    Dann ergriff hilflose Wut Besitz von ihm. Heftig zerrte er an seinen Ketten und brüllte den Namen des Arithon s’Ffalenn hinaus.
    Im Saal hieb die Melodie auf ein Crescendo zu. Die Woge ursprünglicher Energie erreichte ihren Höhepunkt, und kein geschulter Geist war da, sie abzuwenden oder zu geleiten. Als schließlich die tausendfache Intonation dröhnenden Niederschlags klarer Klänge der Elemente selbst herniederging, erkannte Dakar gepeinigt, daß weder Mann noch Magier nun noch den gewaltigen Fluß zum Verstummen bringen konnte.
    Die Macht des elementaren Gesanges entfaltete sich und setzte eine Fontäne losgerissener Bodenfliesen frei. Bänder und Fähnchen flatterten unter dem Einfluß der gewaltigen Macht. Säulen schwankten; die protzigen, bemalten Ornamente und die mit Engelsköpfen besetzten Bögen fielen in einer Wolke aus Staub und Steinsplittern in sich zusammen. Umtost von wirbelnden Luftströmen, niedergeschlagen vom Chaos umstürzender Tische und zerberstenden Kristalls, kauerte sich Dakar an die summenden Fasern des Eichenholzes, das entgegen jeglicher Vernunft lebendig wurde und Blätter hervortrieb. Durchdrungen von den markerschütternden Klängen der gewaltigen Harmonie, hörte er kaum die Schreie der Menschen, als Panik die Festgesellschaft des Statthalters überwältigte. Gäste und Diener drängten voran, stießen einander, klammerten sich fest und brachten sich gegenseitig zu Fall, während sie kopflos auf die Türen zurannten. Ihre Flucht führte über verschütteten Wein, auf dem Boden verteilte Speisen, verlorene Juwelen und zerzauste Federn abgelegter Masken. Nicht einmal die hochgestellten Ehrenbürger am Kopf der Tafel wurden verschont, als sie kreischend von dem Podest zurückwichen, das urplötzlich in Flammen aufgegangen war.
    Über dem Geruch der verschütteten Speisen und dem wütenden, orangefarbenen Schein schmelzender Glaswaren wüteten Winde, so ungestüm wie eine Gewitterfront und doch unsagbar angenehmer: jeder Lufthauch, eingeatmet inmitten größter Panik, wirkte so belebend auf den Leib wie ein Tonikum. Die berstenden Steinmauern, die Wandbehänge, die sich in ihre einzelnen Fäden auflösten, wurden kein Opfer schlichter Zerstörung, sondern ergaben sich der Woge neuerwachter Lebenskraft, die dem Frost jedes Jahr neue Blüten abrang und die Keime aus der lebendigen Saat sprießen ließ.
    Irgendwann, zwischen zornigen Flüchen gegen Arithon und zittrigem Frohlocken ob der Elemente, erkannte Dakar die Ursache für das Geschehen: Unter dem Mosaik in der ausgedehnten Vertiefung des Bodens im großen Ballsaal des Statthalters verbarg sich das verdeckte Herz eines uralten Kraftkreises des Sechsten Weges.

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