Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Hysterie. »Nein, seht doch, er schaut nur, ob seine Finger nicht durch das Lampenfieber gelähmt sind.«
Medlir drehte an den Wirbeln, ebenmäßig wie die Gezeiten selbst und mit einer Besonnenheit, als wäre er frostgeformtes, kristallines Eis. Wie sein Meister vor ihm begann er ohne jegliche Einleitung mit seinem Spiel.
Die Saiten der Lyranthe flüsterten, seufzten, ehe sie eine Melodie freisetzten, zart prasselnd wie ein Regen im Herbst. Der Musiker widerstand der Versuchung, seinerseits Spott zu seiner Rache einzusetzen. Seine Arpeggios übergossen das Kichern und den spitzzüngigen Sarkasmus wie Perlen, die von einer zerschnittenen Schnur rollten. Noten, so sauber getrennt und frei von Schmerz und Zorn, umrahmten eine Ballade, die so sehr im Widerspruch mit der Antipathie seiner Zuhörer stand, daß allein seine Ouvertüre zu einem Akt der Kühnheit geriet.
Dakar, der ihm am nächsten war, war der erste, der das erregende Prickeln wahrer Magie hinter der Kunst wahrnahm, die nur ein Meisterbarde zu beherrschen imstande war. Bebend drangen die Klänge durch seine Gebeine, ein Säuseln, zu süß ihm zu widerstehen. Seines Willens beraubt und bar seines zuvor empfundenen Zorns, beugte Dakar den Kopf, legte seine Stirn an die angeketteten Hände und benetzte geschlagen den Pfosten mit seinen Tränen. In Medlirs Spiel war kein Groll enthalten. Zerschlagen und doch erfüllt von irrsinniger Leidenschaft, spann er heilende, ja, beruhigende Rhythmen; und dann, als die reine Tiefe und Majestät seines Mitgefühls ihm alle Aufmerksamkeit eingebracht hatte, streifte er die Silbersaiten mit einem Schlag und änderte die Melodie abrupt.
Wie eine Welle sich an einem Felsen brechen mochte, donnerten die Klänge heran und setzten eine Macht frei, die imstande war die Türen des Geistes zu öffnen. Inmitten Feindseligkeit und dem Verlangen nach Blut, über dem bitteren menschlichen Drang, zu schmähen und zu spotten, um eigenen Makel zu verbergen, wob die Musik ein strahlendes Netz. In erhabener, hochschwebender, unendlicher Reinheit entfaltete Medlir seinen Lobgesang für Halliron, als würfe er Perlen vor die Säue.
Eines Meisterbarden Gabe war imstande, einen Geist zu umschließen und seine schlichte Essenz in ein Gewebe von Klängen zu wirken. Und so konnte die Lyranthe dienen, zu heilen, ein schwer geplagtes Bewußtsein in die Erlösung durch den Tod zu geleiten, oder das Leben und das Bewußtsein zurückzurufen, für eine Woche oder auch nur eine Stunde, und sie konnte einen letzten Tribut tiefster Gram fordern. Medlir nun durfte eine unerbittliche Wahrnehmungsfähigkeit sein eigen nennen. Er spielte, wie Dakar es nie zuvor erlebt hatte, und seine Harmonien bildeten einen strahlenden Gegensatz zu den Ereignissen, so hell wie sonnenbeschienener Schnee. Mit furchteinflößender Genauigkeit enthüllte er vor den Bürgern Jaelots den komplizierten Charakter des Barden, den sie gepeinigt hatten. Er sorgte dafür, daß sie Halliron mit seinen Augen sehen mußten, als einen großzügigen Geist von hoher Moral und großem Mut, der selbst sein Herz durch seine Balladen der Menschlichkeit geopfert hatte, obschon ihn dieser Edelmut seinen Herd und seine Liebe gekostet hatte.
Schmerzlicher noch als Spott traf Schande die Übeltäter, so tief und bohrend wie ihre verborgensten Ängste. Klagt mit mir, riefen die Noten; weint um das, was zerstört sein könnte. Dann liefen die Tränen, schwer genug, zu blenden, heiß genug, zu verbrühen, und reichhaltig genug, Seide und Samt mit einem diamantenen Muster reiner Trauer zu überziehen.
Die Lyranthe erklang mit einer Macht, die angetan war, zu verwunden, gefangenzunehmen, und doch tat sie nichts dergleichen. Ihre Weise wandelte sich zu einem Zauber, der das lebende, atmende Fleisch durch seinen eigenen Jubel bezwang. Zitternd drängte sich Dakar an den Eichenpfosten, fühlte, wie jede neue Strophe in dem Stahl seiner Ketten vibrierte. Seine magischen Sinne enthüllten ihm die Resonanz, die Medlir der Erde und der Luft mit seiner Gabe entrang. Selbst die Flammen der Kerzen flackerten und verloschen zu Ehren Hallirons, des Meisterbarden; und noch immer ging die Musik weiter, während der Minnesänger in seiner Kunst verloren war, als hätte die Offenbarung der Klänge ihm die Sinne geraubt.
Über fliegende Finger und den Schimmer silberner Saiten gebeugt, mit Leib und Seele offen für die Musik, in der sein Kummer sich zu wunderbaren Klängen wandelte, spielte Medlir weiter. Halb
Weitere Kostenlose Bücher