Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
zornigen Ausbruch, der doch nie erfolgte.
Beinahe erstickt sagte Arithon: »Du bist einen weiten Weg gekommen, mich zu sprechen. Ich höre dir zu. Fahr fort!«
Jieret schluckte und zwang sich zu einem lahmen Achselzucken. »Im Gedenken an meinen Vater hätte ich schon wissen müssen, daß Ihr nicht einverstanden sein würdet. Die gnädige Frau Maenalle hat uns eine Warnung zukommen lassen. Das Heer, das sich zu Avenor in der Kriegskunst übt, ist überaus kunstfertig und darauf vorbereitet, in aller Eile durch Söldner verstärkt zu werden. Caolle hat errechnet, daß die Streitkräfte, die die verbündeten Städte Rathains bereitstellen werden, bis zu fünfunddreißigtausend Mann stark sein werden.«
Blaß, als wäre er aus Glas, schüttelte Arithon seinen impulsiven Zorn ab. »Wenn dieses Heer sich in Marsch setzt, Herzog Jieret, so gebe ich Euch schon heute mein Wort, daß keiner Eurer Clanmänner sich ihm um meinetwillen entgegenstellen werden muß. Was an Blutvergießen nicht verhindert werden kann, das soll fern von der Erde Rathains geschehen.«
»Wollt Ihr Euer Gemetzel etwa in den Gärten unschuldiger Außenstehender veranstalten?« unterbrach Dhirken, die sich ganz entgegen ihrer Absichten gemüßigt sah, sich ebenfalls am Gespräch zu beteiligen. »Gnädiger Ath, allein für die Ernährung der Soldaten wird ein solches Heer das Land wie eine unvorstellbare Heuschreckenplage heimsuchen.«
Arithon würdigte sie kaum eines Blickes. »Können Armeen auch über das Wasser marschieren? Kann mich eine Flotte verfolgen, während meine Schatten ihr die Sicht rauben? Lysaer wird von den Handelsgilden unterstützt. Wie lange werden die wohl zahlen und ihre Gewinne vergeuden, nur um einem Mann nachzustellen, der sich ihnen jederzeit entziehen kann? Wenn es mir möglich ist, die notwendigen Arrangements zu treffen, dann wird es überhaupt keinen Krieg geben.«
»Ihr mögt entkommen, doch so einfach wird das nicht«, stimmte der Kapitän zu. »Das Meer kann Euch nicht für alle Zeiten verbergen, und ich werde die Schwarze Drache gewiß nicht dazu hergeben, unter der Flagge Rathains zu segeln.«
»Dort ziehe auch ich meine Grenze«, konterte Arithon so schnell und scharf wie ein Peitschenschlag. »Alle Schiffe, die in Gefahr geraten können, werden die meinen sein, erbaut in der provisorischen Werft zu Merior.« Kurz zuckte ein amüsiertes Lächeln um seine Mundwinkel. »Zu Beginn werde ich die Unterstützung Eurer Drache brauchen, aber nur, um Botschaften und Holz zu transportieren, und ich biete Euch dafür eine beachtenswerte Summe zum Lohn für Eure Dienste.«
Die Art, in der Dhirkens Hände ihre Unterarme umklammerten, deutete auf Ablehnung, wenn nicht gar ein kategorisches Nein hin, doch noch ehe sie ein Wort sagen konnte, kam Arithon ihr zuvor, indem er Jieret bat, ihm alles über die Vorgänge in Etarra zu erzählen. Solchermaßen vollkommen sachlich vorgetragen, erwiesen sich die schlichten Tatsachen als wahrlich unerbittlich. Längst hatte Lysaer es mit seinen überragenden diplomatischen Fähigkeiten vermocht, alle Städte Rathains in einmütiger Allianz zu vereinen. Der Aufruhr in Jaelot hatte die Ängste aus früheren Zeiten neu belebt und dem alten Haß neuen Auftrieb gegeben.
»Mein Gebieter«, schloß Herzog Jieret seine Rede mit unverkennbarer Aufrichtigkeit, »Eure loyalen Clans haben harte Zeiten hinter sich. Um den sommerlichen Feldzügen der Kopfjäger zu entgehen, mußten selbst die Clans aus Regionen weit im Süden bis hinab zum Halwythwald sich tief in das Ödland von Daon Ramon zurückziehen. Aus Furcht vor den alten Ruinen und paravianischen Geistern zögern die Städter, uns dorthin zu folgen, doch auch diese Zuflucht wird uns nicht auf ewig erhalten bleiben.«
Eine Pause trat ein. Jieret schob seine Hände hinter den Waffengurt und wartete, während Dhirken die Ruhe nutzte, die Knoten an ihren Armschienen zu lösen, um die ineinanderverschlungenen Drähte herauszuzerren und von sich zu schleudern. Das flackernde Lampenlicht zeichnete lange, glänzende Narben nach, die sich über ihre beiden Unterarme zogen. Während die Minuten dahinzogen, ohne daß Arithon einen Kommentar verlauten ließ, schien es, als würde die Stille die Luft selbst erstarren lassen. Die Drache schwankte an ihrer Ankerkette hin und her, tanzte im Takt mit den nächtlichen Winden auf See, während die fernen, fröhlichen Rufe der feiernden Menschen im Hintergrund verhallten.
Endlich sah Herzog Jieret auf.
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