Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
mit steter Konzentration in das Licht zu starren. Übergangslos, beinahe unmerklich fiel er in einen seherischen Traum, der sich außerhalb der Fähigkeiten seiner fünf Sinne entwickelte.
Gerade noch stand er in der vollgestopften Hütte der Zauberin. Einen Atemzug später war er nirgends, nichts als ein körperloses Sein in einer Woge kummervoller Pein. Dann erschien seiner Wahrnehmung ein scharfes Bild von einem weit entfernten Ort …
… der azurblaue Himmel erstrahlte im milden, salzgeschwängerten Wind über dem leisen Plätschern der Wogen. Vor einem Hintergrund aus Palmwedeln und den fedrigen, tiefhängenden Wolken der Tropen, schloß ein Mann in Matrosenkleidern einen Handel mit einem Handwerksmeister. »Meine Werft wird in Merior erbaut werden«, erklärte er. »Euer Vertrag soll zwei Jahre gelten, in denen wir zehn Zweimaster bauen werden.« Als er sich umwandte, um fortzugehen, schimmerte sein glänzendes, schwarzes Haar im Schein der südlichen Sonne, welche die scharfen Linien seines Gesichtes nachzeichnete; Augen, so strahlend wie dunkler Turmalin entlarvten ihn als Sproß derer zu s’Ffalenn …
Das scharfe Bild zerbrach wie ein zerschmetterter Spiegel, geschändet vom eisigen Griff des Hasses. Erfüllt von glühendem Zorn schrie Lysaer auf. Der fluchgepeitschte Drang, seine Klinge zu ziehen und den unerreichbaren Feind zu enthaupten, zerstörte sein vernunftbetontes, königliches Benehmen. Er sprang einen Schritt zurück und wirbelte herum, um durch die Tür der Hütte hinauszustürzen, hin zu dem Keiler, der irgendwo dort draußen auf seinen Todesstoß wartete.
Aber die Wände, der undeutliche Geruch verschiedener Gewürze, die Kerze und die Alte: sie alle waren fort. Kein Knarren gewachster Bodenbretter war unter seinem Tritt zu hören. Statt dessen stürzte er durch feuchtes Geäst.
Verwirrt und erschrocken zuckte Lysaer zusammen. Die unerfüllte Leidenschaft, die von der Vision geweckt worden war, brannte in seinem Leib. Nun, da irgendein magischer Bann ihn in den Wald zurückgebracht hatte, stand er verwundert am Rand eines Hangs. Der Himmel hatte sich in einen durchscheinenden Mantel des Zwielichts gehüllt; Grashalme und Farne beugten sich unter der Last der Tautropfen.
Lysaer fror in der kalten Luft, als er seinen Eschenspeer neben seinen Füßen entdeckte. Rasch ergriff er die Waffe, während noch immer jeder Nerv in seinem Körper unter dem Einfluß ungezähmten Hasses glühte.
Eine Bewegung am anderen Ende einer Lichtung erregte seine Aufmerksamkeit.
Im Schatten unter den Bäumen wartete mit gesenktem Kopf und aufgerichteten Borsten ein angriffsbereiter Keiler darauf, sein Territorium zu verteidigen. Dämmriger Lichtschein umspielte seine speicheltriefenden Stoßzähne. Seine Ohren zuckten stetig hin und her, während er aus bösen Augen in das Zwielicht starrte.
Durch den Schock des Fluches Desh-Thieres mit der Konzentration eines erfahrenen Jägers begnadet, blieb Lysaer keine Gelegenheit, Furcht zu empfinden. Die Vision hatte ihm seinen Feind gezeigt, und nun jagte der irrsinnige Drang durch seinen Leib, lebendiges Fleisch in Stücke zu reißen und Blut zu vergießen. Er ergriff seine Waffe, wog sie in der Hand und schlich sich geduckt voran, um dem Angriff des Keilers zu begegnen.
Seine Bewegung setzte der unsicheren Schnüffelei des Tieres ein Ende. Der Keiler kam, griff an, war nichts anderes als eine dumpfe Masse hitziger Muskeln, bewehrt überdies mit einem stinkenden, schnaubenden Atem.
Doch Lysaer sah kein Tier vor sich, als er die Spitze seines Speeres senkte.
Vor der heraufziehenden Dämmerung zielte er statt dessen auf das glänzende, schwarze Haar, auf die heimtückischen Züge seines Halbbruders.
In einem Ausdruck giftspritzenden Triumphes verzog er die Lippen, als der Keiler direkt auf ihn zustürzte. Wie eine Stange aus reinem Licht hielt er den Speer absolut ruhig und reglos in Händen.
Möglicherweise fühlte das wilde Tier, daß es dem Untergang geweiht war; vielleicht trug auch der unbeständige Wind den Geruch geölten Metalls, bereit sich in heißes Fleisch zu bohren, an seine Nase. Im letzten Moment brach der Keiler aus. Der Speer traf seine Schulter. Tief trieb der Stoß die stählerne Spitze in das Fleisch des Tieres. Knochen brachen und erschütterten die hölzerne Waffe in Lysaers Händen.
Die Wunde, die er dem Tier beigebracht hatte, würde es töten, doch es würde lange leiden müssen. Brüllend gab der Keiler seinem Schmerz Ausdruck,
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