Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
mehr sicher zu sein.
»Vielleicht sind es bloß große Tiere, die aufrecht gehen«, meinte er.
»Diese Vorstellung ist natürlich viel beruhigender«, sagte Conrad. »Sollen wir also hier bleiben oder weiterfahren?«
Assante entschied sich fürs Bleiben. Die beiden kletterten aus dem Boot, hievten es neben den Stein und setzten sich wieder hinein.
»Haben wir noch Proviant?«, fragte Assante.
»Etwas Brot, getrockneten Fisch und ein paar der weichgekochten Erdknollen.«
»Das wird reichen. Ich habe im Moment keine Lust, im Halbdunkel nach Früchten zu suchen. Wie steht es mit dir?«
»Machst du Scherze?«, fragte Conrad. »Ich bewege mich keinen Schritt von hier fort. Die Früchte, die ich einsammeln würde, wären ohnehin allesamt giftig.«
»Dann lass uns essen«, sagte Assante und holte den Sack unter der Bank im Boot hervor. In dem Moment raschelten Blätter hinter ihnen, ein Busch teilte sich, und vier kleine Männer mit dunkler Haut, bunten Lendenschürzen und Speeren in den Händen traten auf sie zu. Assante ließ vor Schreck den Sack fallen, und Conrads Herz setzte für einen Moment aus. Die Männer hatten schwarzes, schulterlanges Haar, ihre Handgelenke und die Fußfesseln waren mit bunten Bändern umwickelt. Bis auf den Lendenschutz waren sie nackt. Einer der Männer trug eine Kette aus bunten Vogelfedern um den Hals. Auch die Speere waren mit Federn geschmückt.
»Ich hatte recht, wir wurden verfolgt«, sagte Assante.
Conrad war immer noch völlig sprachlos. Die Männer hatten Ähnlichkeit mit den Zeichnungen, die er von spanischen Chronisten gesehen hatte. Bis jetzt hatte er die Darstellungen für phantasievolle Übertreibungen gehalten. Aber es gab sie wirklich: Menschen, die mitten im unwirtlichen Dickicht des Dschungels lebten. Was würden sie jetzt mit Assante und ihm machen? Würden sie sie töten? Fürchterliche Erzählungen über menschenfressende Wilde fielen Conrad ein. Er hatte die Geschichten stets belächelt.
»Vielleicht wollen sie bloß mit uns zu Abend essen«, sagte er. »Leider haben wir zu wenig, um zu teilen.« Wieder einmal war er sich nicht sicher, ob er gerade jeden Bezug zur Realität verlor und sein letzter Rest Verstand sich eben auflöste.
Assante fand die Bemerkung nicht witzig und meinte: »Mein Freund, du wirst verrückt.«
»Wundert dich das?«
Nachdem die fremden Männer, die alle vier einen Kopf kleiner als Conrad und Assante waren, sie lange schweigsam angestarrt hatten, sagte einer von ihnen – es schien ihr Anführer zu sein – etwas in einer Sprache, die weder Conrad noch Assante verstanden.
Daraufhin traten alle vier auf das Boot zu und bedeuteten Conrad und Assante auszusteigen.
»Ich glaube, sie wollen unser Boot«, flüsterte Assante. Und tatsächlich hoben die Männer das Boot hoch und trugen es zurück zum Ufer, wo sie es ins Wasser ließen.
Assante fuchtelte aufgeregt mit beiden Armen.
»Nein, ihr könnt uns das Boot nicht wegnehmen, wir brauchen es«, sagte er auf Latein, und Conrad konnte sich trotz der dramatischen Situation ein Grinsen nicht verkneifen. Glaubte sein Freund, dass die Männer im Dschungel wie er und Assante mit den Schriften von Cornelius Nepos Latein gelernt hatten und sich jetzt über die Schriften von Ovid und Horaz unterhielten? Ganz offensichtlich brachte auch Assantes Gehirn nicht mehr die volle Leistung.
Aber zu Conrad und Assantes großer Überraschung bedeuteten die Männer ihnen, wieder ins Boot zu steigen.
»Was haben die vor?«
»Keine Ahnung.« Conrad folgte Assante und nahm wieder im Boot Platz. Nun stiegen auch die vier Männer zu ihnen, und das winzige Gefährt sank bedenklich tief ins Wasser. Conrad hatte Angst, dass sie alle in der braungrünen Brühe landen würden. Aber zwei der Männer ergriffen die Ruder und hantierten damit so geschickt und flink, dass das Boot geräuschlos und ohne zu wackeln durchs Wasser glitt.
Einer der Männer sagte etwas, und die anderen lachten. Ihre Sprache klang völlig fremd in Conrads Ohren. Sie schien ausschließlich aus Vokalen zu bestehen. Er nahm an, dass die vier sich über ihn und Assante amüsierten. In den Augen der Wilden waren die beiden sicher zwei lebensunfähige Witzfiguren, über die man herrlich lachen konnte.
Die Männer steuerten das Boot in einen schmalen Seitenarm. Hier schwammen hellgrüne Teichlinsen auf der Wasseroberfläche und machten es unmöglich, in die Tiefe zu sehen. Wieder nahmen sie einen seitlich abzweigenden Flussarm.
»Wir finden nie
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