Der Fluch des Verächters - Covenant 01
die verschiedenerlei Toten zu beerdigen oder zu verbrennen, aber Covenant schlief. Aus seinem Innern erhob sich ruhelose Bewußtlosigkeit wie eine unaufhörliche Aufzählung seiner VBG-Maßnahmen, und er brachte seinen Erschöpfungsschlaf damit herum, in seinen Träumen ihr striktes Rondell aufzusagen: linker Arm, Schulter bis Handgelenk, linke Hand, Handfläche und Handrücken, Finger einzeln, rechter Arm, Brust, Leib, linkes Bein ... Er erwachte in einer Dämmerung, die alle Eigenschaften einer Grabesgruft aufwies. Zittrig rappelte er sich auf und stellte fest, daß die gesamte Beisetzungstätigkeit abgeschlossen war: Sämtliche Massengräber waren zugeschüttet und mit Erde behäuft, und auf jedes hatte man einen von Birinair ausfindig gemachten Setzling gepflanzt. Nun lag die Mehrzahl der Krieger selber in verschiedenen unbeholfenen Stellungen ausgestreckt, suchte in der Ermüdung nach irgendeiner Quelle von Kraft. Prothall und Mhoram jedoch bereiteten geschäftig ein Mahl zu, und die Bluthüter begutachteten die Pferde, machten sie marschfertig. Eine Grimasse des Widerwillens verunstaltete Covenants Gesicht – er verspürte ihn, weil er seinen Teil an der Arbeit nicht geleistet hatte. Er betrachtete sein Gewand; der Seidenstoff war steif und schwarz von geronnenem Blut. So was paßt zu einem Lepraleidenden , dachte er. Einem Ausgestoßenen. Er wußte, daß er eine längst überfällige Entscheidung zu treffen hatte. Er mußte entscheiden, wo in diesem unmöglichen Dilemma er eigentlich stand. In der grabesdüsteren Dämmerung auf seinen Stab gestützt, sah er ein, daß er mit seinen Ausflüchten am Ende war; er hatte seine Selbstschutzgewohnheiten vernachlässigt, der Entschluß, seinen Ring zu verbergen, war vereitelt worden, selbst seine festen Stiefel durfte er abschreiben – und er hatte Blut vergossen. Dem Holzheim Hocherhaben hatte er Unheil beschert. Von seiner Flucht vorm Wahnsinn war er so beansprucht gewesen, daß er nicht jenen Wahnsinn sah, dem er in die Arme floh. Er mußte in Bewegung bleiben; soviel hatte er kapiert. Aber Weitermachen stellte ihn vor das gleiche unlösbare Problem. Er konnte mitmachen und in Wahnsinn verfallen. Er konnte sich weigern und wahnsinnig werden. Deshalb blieb ihm nun nichts anderes übrig, als sich zu entscheiden, irgendwo in diesem Meer des Irrsinns einen Felsen zu finden und sich an ihn zu klammern. Aber er vermochte das fremde Land nicht zu akzeptieren – aber auch nicht zu leugnen. Er brauchte einen Ausweg. Ohne ihn stäke er fest wie Llaura – wäre dazu gezwungen, zur Pfeife von Fouls diebischem Vergnügen zu tanzen, beim Versuch, sich nicht zu verlieren, unweigerlich in die Irre zu gehen. Da blickte Mhoram vom Umrühren auf, sah den Widerwillen und den Mißmut in Covenants Miene.
»Was verdrießt dich, mein Freund?« fragte der Lord nachsichtig.
Covenant starrte Mhoram einen Moment lang an. Der Lord wirkte, als wäre er über Nacht vergreist. Rauch und Schmutz des Gefechts zeichneten sein Gesicht, betonten die Falten auf seiner Stirn und an seinen Augen wie infolge einer plötzlichen Beschleunigung von Ermattung und Verfall. Aufgrund seiner Müdigkeit schauten seine Augen stumpf drein. Seine Lippen jedoch zeugten unverändert von seiner Freundlichkeit, und seine Bewegungen waren sicher, obwohl er sie in einem zerfetzten und blutgetränkten Gewand tun mußte. Unwillkürlich zuckte Covenant vor dem Ton zurück, in dem Mhoram ›Mein Freund‹ aussprach. Er durfte es sich nicht leisten, irgend jemandes Freund zu sein. Und er schrak auch davor zurück, sich danach zu erkundigen, was Tamaranthas Stab in seinen Händen so entfesselt hatte. Er fürchtete die Antwort auf diese Frage. Um seine Feigheit zu verhehlen, wandte er sich schroff ab und ging Schaumfolger suchen.
Der Riese saß ans letzte aufrechte, inzwischen erkaltete Fragment Holzheim Hocherhabens gelehnt. Dreck und Blut verdüsterten sein Gesicht; seine Haut hatte die Farbe eines Makels im Herzen eines Baumes. Die Stirnwunde beherrschte seine Erscheinung. Zerrissenes Fleisch hing über seine Brauen herab wie Schmerzenslaub, und frische Blutstropfen sickerten aus der Wunde, als zwängten sich aus einer Bruchstelle seines Schädels rote Gedanken. Sein rechter Arm umschlang einen Krug voller Diamondraught , und sein Blick beobachtete, wie Llaura den kleinen Pietten versorgte. Covenant näherte sich dem Riesen; aber ehe er ihn ansprechen konnte, sprach Schaumfolger selbst. »Hast du über sie nachgedacht?
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