Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Mhoram geschehen sein mochte. Aber es scherte ihn nicht, welche Bedeutung sie ihm beimaßen. Als das Aufgebot weiterzog, führte er Dura seitlich der Spalte aufwärts, gleichgültig gegenüber dem abschüssigen Schiefer, durch dessen Rutschigkeit er mehr als einmal auf Hände und Knie fiel, sich gefährlich zerschrammte und aufschlug. Seine Gedanken galten dem Frühlingsfest, dem Gefecht beim Holzheim Hocherhaben, bei Kindern, Llaura und Pietten, Atiaran und dem namenlosen Freischüler, Lena und Triock, der Kriegerin, die in Verteidigung seiner Person umkam – er dachte, schon um sich einzureden, daß sein Handel eine sichere Sache war, daß er nicht länger genug Zorn empfand, um weitere Handgreiflichkeiten zu riskieren.
Am Nachmittag kämpfte sich die Truppe weiter über den steilen Untergrund, klomm allmählich höher, während sie sich westwärts hielt. Von ihrem Ziel war nichts zu sehen. Auch als am Himmel die Sonne sank und sich das entfernte Rauschen von Wasser als unterscheidbare Begleitung zum unterirdischen Schlagen von Trommeln vernehmen ließ, besaßen sie noch immer keinen Blick auf die Schlucht. Aber dann gerieten sie in einen versteckten kahlen Hohlweg am Berghang, und durch ihn konnte man das Fauchen von Strömung hören. Die Reiter ließen ihre Pferde im Hohlweg unter der Aufsicht der Seilträger zurück. Zu Fuß stiegen sie weiter die felsige Furche empor, so wie sie sich am Berg aufwärtswand und zuletzt in die Höhe einer Klippe mündete, die sich kaum dreißig Meter direkt über der Verräterschlucht befand.
Den Trommelschlag konnten sie nicht länger hören; der Lärm, den der Fluß machte, merzte jeden anderen Laut außer ihren halb gebrüllten Zurufen aus. Die Wände des Abgrunds waren hoch und kahl, versperrten zu beiden Seiten den Horizont. Aber durch den Sprühnebel, der darüber wie Dunst lag, vermochten sie in der Tiefe den Grund der Schlucht selbst zu erkennen – die schmale, felsige Rinne, die den Fluß einzwängte, bis er zu schreien schien, und das wilde, vom Schaum weiße, vom Sonnenuntergang feurig gekrönte Wasser wälzte sich brodelig hindurch, als kämpfe es gegen seine eigene rasereiartige Hast an. Fast eine Länge weiter westlich schlängelte sich der Fluß in die Schlucht, und unterhalb des Standorts der Truppe beschleunigte er seinen Sturz in die Eingeweide des Berges, als schlürfe ein bodenloser Schlund ihn hinab.
Oberhalb der Schlucht schwebte die im Sinken begriffene Sonne in der Nähe des Horizonts wie eine Kugel aus Blut an einem bleigrauen Himmel; ihr Schein verlieh den wenigen zähen Bäumen, die sich an den Rand der Schlucht klammerten, als wären sie aus Pflichtbewußtsein dort verwurzelt, einen feurigen Glanz. Doch im Innern der Verräterschlucht gab es nichts als Sprühnebel, nackte Felswände und gequälte Wasser. Das Dröhnen betäubte Covenants Ohren, und der vom Sprühnebel schlüpfrige Fels schien unter seinen Füßen wegrutschen zu wollen. Für einen Moment war ihm, als wankten die Klippen ringsum; er spürte das Maul des Donnerbergs nach ihm lechzen. Dann stürzte er zurück in den Hohlweg, drückte sich rücklings ans Gestein, preßte die Hände auf die Brust, bemühte sich darum, nicht laut zu keuchen. Rundum herrschte Aufregung. Er hörte Ausrufe der Überraschung und Furcht von den Kriegern am Ende des Hohlwegs, vernahm ein ersticktes Aufheulen Schaumfolgers. Aber er rührte sich nicht. Er drückte sich inmitten des Sprühnebels, des donnerartigen Rauschens aus der Tiefe ans Gestein, bis seine Knie sich wieder festigten und in seinen Füßen das Kreischen der Rutschigkeit nachließ. Danach erst ging er hin, um zu sehen, was seine Begleiter so außer Fassung brachte. Er tastete sich mit einer Hand an der Felswand entlang und bewegte die andere Hand von Schulter zu Schulter, während er durchs Aufgebot nach vorn strebte. Zwischen Covenant und der Klippe raste Schaumfolger. Zwei Bluthüter klammerten sich an seine Arme, und er schmetterte sie wiederholt an die Seitenwände des Hohlwegs, fauchte dabei heiser. »Loslassen! Loslassen! Sie sind mir verfallen!«, als wolle er sich kopfüber in die Schlucht werfen.
»Nein!« Urplötzlich stand Prothall vor dem Riesen. Der Sonnenuntergang im Hintergrund verdunkelte sein Gesicht, während sich seine Gestalt gegen den Schimmer abzeichnete, die Arme ausgebreitet, den Stab erhoben. Er war alt und nur halb so groß wie der Riese. Aber der orangerote Glanz schien ihn auszudehnen, zu vergrößern, seine Autorität
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