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Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Überwältigung und des Horrors. Er befand sich auf einem steinernen Ausguck tausend oder mehr Meter über der Erde. Unterhalb dieses Hochsitzes glitten und schwirrten Vögel dahin. Die Luft war so klar und rein wie Kristall, und die Weiträumigkeit der Landschaft wirkte durch sie geradezu unermeßlich, so daß seine Augen vom Versuch weh taten, sie als Ganzes zu erfassen. Direkt unter ihm erstreckten sich Hügel; beiderseits dehnten sich Ebenen bis zum Horizont; zur Linken schlängelte sich, im Sonnenschein silbern, ein Fluß aus den Hügeln. Alles war frühlingshaft hell und heiter, als wäre es heute erst mit dem Morgentau geboren worden. Hölle und Verdammnis! Die Höhe erregte Schwindel, und er wankte. Grausige Geierschwingen aus Finsternis umflatterten sein Haupt. Die Senkrechte zog ihn mit einem Ruck in ihren Bann, ließ das Erdenrund schwanken. Er wußte nicht, wo er war. Diese Gegend hatte er noch nie gesehen. Wie war er in diese Umgebung geraten? Ein Polizeiwagen hatte ihn angefahren, und Foul brachte ihn an diesen Ort. Foul brachte ihn an diesen Ort? Brachte ihn her? Unversehrt? Entsetzt torkelte er auf das Mädchen und den Berg zu. Drei unsichere Schritte waren es bis zur Lücke in der kleinen, niedrigen Ringmauer. Dort erkannte er, daß er sich auf der Spitze eines schmalen Felsvorsprungs von rund hundert Metern Länge befand, der wie ein ausgestreckter Finger, der anklagt, zum Himmel wies. In die Oberseite des Vorsprungs hatte man Stufen gehauen, aber der Aufstieg war so steil wie über eine Leiter.
    Ich muß fort von hier , dachte er, während sich einen Moment lang alles um ihn zu drehen schien. Nichts von alldem ist Wirklichkeit, ich erlebe nichts davon wirklich. Dann kam ihm die ganze Verrücktheit der Situation voll zu Bewußtsein, packte ihn mitten aus den Abgründen der Lüfte wie die Krallen eines Kondors. Er stolperte; unter ihm klaffte das Maul der Tiefe. Nein!! heulte er stumm auf. Als er vornübersackte, ergriff das Mädchen seinen Arm, stützte ihn; er taumelte seitwärts und stürzte innerhalb der Ummauerung auf den Stein, zog die Knie hoch an seinen Brustkorb, verbarg seinen Kopf zwischen den Armen. Wahnsinn! kreischte er innerlich wie eine verlorene Seele. In seinem Schädel wanden sich wie Würmer der Fäulnis Schwaden von Dunkelheit. Wahnwitzige Visionen suchten seinen Verstand heim.
    Wie? Unmöglich! Er hatte die Hauptstraße überquert. Verzweifelt bestand er darauf. Die Ampel hatte ihm Grün angezeigt.
    Wo? Ein Polizeiwagen hatte ihn angefahren. Unmöglich! Er war direkt auf ihn zugefegt und hatte ihn angefahren. Und ihm kein Haar gekrümmt?! Wahnsinn. Ich werde verrückt, verrückt, verrückt! Und ihm kein Haar gekrümmt? Alptraum. Nichts davon geschieht wirklich, wirklich, wirklich!
    Durch den wilden Strudel seines Elends ergriff plötzlich eine fremde Hand die seine; ihr Zugriff war kraftvoll, irgendwie eindringlich, und er wirkte wie ein Anker. Alptraum! Ich träume. Träume! Der Gedanke durchstrahlte seine Panik wie eine Erleuchtung. Er träumte! Natürlich träumte er. Wie ein durcheinandergeratener Jongleur stellte er die Ordnung im Ablauf des Geschehens wieder her. Ein Polizeiauto hatte ihn angefahren – er mußte die Besinnung verloren haben. Gehirnerschütterung. Er konnte stunden- oder auch tagelang bewußtlos bleiben. Und während er besinnungslos war, hatte er diesen Traum. Das war die Lösung! Er klammerte sich daran, als sei sie die Hand des Mädchens, die mit festem Griff seine Hand hielt; sie half gegen das Schwindelgefühl, minderte seine Furcht. Aber diese Antwort reichte nicht aus. Noch immer umlauerte ihn die Finsternis, als wäre er ein von Foul zurückgelassenes Aas.
    Wie? Woher bekam man solche Alpträume? Er konnte es nicht ertragen, darüber nachzudenken; es würde ihn den Verstand kosten. Er schrak davor zurück, als habe das Grübeln bereits sein Mark zu zersetzen begonnen. Nicht darüber nachdenken! Gar nicht erst versuchen, es zu verstehen. Wahnsinn – der Wahnsinn ist die einzige Gefahr! Überleben! Handeln! Etwas tun! Nicht zurückschauen! Er zwang sich dazu, die Augen aufzuschlagen; und als er in den Sonnenschein blickte, wich die Finsternis, fiel zurück in den Hintergrund und sammelte sich langsam in seinem Rücken, als wollte sie darauf warten, daß er sich um- und ihr zuwende, damit sie sich erneut auf ihn stürzen könne.
    Das Mädchen kniete an seiner Seite. Es hatte seine verstümmelte Rechte zwischen beide Hände genommen, und in seinen

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