Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Augen standen Tränen der Sorge. »Berek«, sagte es leise und bekümmert, als er in diese Augen sah. »O Berek, welches Übel quält dich? Ich weiß nicht, was ich anfangen soll.«
Doch es hatte bereits genug für ihn getan – ihm dabei geholfen, wieder Herr über sich selbst zu werden, dem Sog der gefährlichen Fragen zu widerstehen, die er nicht beantworten konnte. Seine Finger jedoch waren taub; stellenweise fühlte er ihre Umklammerung seiner Hand überhaupt nicht. Er setzte sich auf, obwohl diese Anstrengung ihn beinahe in Ohnmacht sinken ließ. »Ich bin ein Aussätziger«, sagte er mit schwacher Stimme. »Rühr mich nicht an.«
Widerwillig löste es seinen Griff, als verstehe es nicht recht, was er meinte, als sei es sich nicht sicher, wovon er eigentlich sprach. Mit einer Geste, die infolge seiner Mattigkeit schroff wirken mußte, entzog er ihm seine Hand. Kummervoll biß sich das Mädchen auf die Unterlippe. Als befürchte es, ihn verärgert zu haben, trat es zurück und hockte sich ihm gegenüber an der steinernen Einfassung nieder. Doch er sah ihm an, daß sein Interesse an ihm es nahezu verzehrte. Es konnte nicht lange den Mund halten. »Ist es falsch, dich zu berühren?« erkundigte es sich einen Moment später gedämpft. »Ich habe es nicht so gemeint. Du bist Berek Halbhand, der Lord-Zeuger. Ein Übel griff nach dir, das ich nicht sehen konnte. Wie hätte ich's ertragen können, dich so bedrängt zu sehen?«
»Ich bin ein Aussätziger«, wiederholte er, während er seine Kräfte zu sammeln versuchte. Aber der Gesichtsausdruck des Mädchens verriet, daß ihm das Wort nichts besagte. »Ich bin krank ... ich leide an einer Krankheit. Du bist dir nicht über ihre Gefährlichkeit im klaren.«
»Wenn ich dich berühre, werde ich dann ... krank?«
»Wer weiß?« Er vermochte seinen Augen und Ohren kaum zu trauen. »Hast du keine Ahnung«, fragte es deshalb, »was Lepra ist?«
»Nein«, gab es mit Verwunderung zur Antwort. »Keine.« Es schüttelte den Kopf, und das Haar flog ihm locker übers Antlitz. »Aber ich habe keine Furcht.«
»Du solltest dich aber lieber fürchten«, krächzte er barsch. Die Unwissenheit oder Unschuld des Mädchens verdroß ihn; er vernahm durch dessen Worte den heftigen Flügelschlag der Unruhe. »Es ist ein Leiden, das den Erkrankten langsam auffrißt. Es frißt an ihm, bis Finger und Zehen, Hände und Füße, Arme und Beine ihm verfaulen und abfallen. Es macht blind und häßlich.«
»Läßt es sich heilen? Vielleicht können die Lords ...«
»Es gibt keine Heilung.« Er wollte weiterreden, etwas von der Bitterkeit herauswürgen, die Foul in ihm hinterlassen hatte. Aber er war zu sehr geschwächt, um seinen Groll lange zu nähren. Er brauchte Ruhe und Zeit zum Überlegen, um die Implikationen seines Dilemmas zu durchdenken.
»Wie kann ich dir dann behilflich sein? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Du bist Berek Halbhand ...«
»Der bin ich nicht.« Er seufzte und wiederholte sich angesichts ihrer Überraschung. »Der bin ich nicht.«
»Wer denn? Du trägst das Zeichen der Hand, und die Sage weiß zu berichten, Berek Erdfreund könne wiederkehren. Bist du ein Lord?«
Mit müder Gebärde winkte er ab, um sich Aufschub zu verschaffen, ehe er antwortete. Er mußte erst einmal gründlich nachdenken. Doch als er die Augen schloß und sich zurück an die Brüstung lehnte, fühlte er sich erneut von Furcht beschlichen. Er mußte handeln, die Flucht nach vorn antreten – auf dem Weg, den ihm sein Traum vorzeichnete. Er heftete seinen Blick wieder auf das Gesicht des Mädchens. Zum erstenmal bemerkte er, es war schön. Und es fürchtete sich nicht vor Leprakranken. »Ich bin«, sagte er nach einem letzten Moment des Zögerns, »Thomas Covenant.«
»Thomas Covenant?« Aus dem Mund des Mädchens klang der Name plump. »Das ist ein sonderbarer Name ... ein seltsamer Name, der deiner sonderbaren Tracht entspricht. Thomas Covenant.« Es neigte vor ihm in bedächtiger Verbeugung den Kopf.
Seltsam? dachte er mit nun mehr Gleichmut. Die Seltsamkeit ist wechselseitig. Er besaß noch immer keine Vorstellung davon, was für eine Rolle er in diesem Traum spielen sollte. Er mußte herausfinden, wo er stand. Er richtete sich nach dem Beispiel des Mädchens. »Und wer bist du?«
»Ich bin Lena«, lautete die förmliche Auskunft, »Tochter Atiarans. Mein Vater ist Trell, Glutsteinmeister des Rhadhamaerl . Wir sind im Steinhausen Mithil daheim. Warst du schon in unserem
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