Der Fluch des Verächters - Covenant 01
besonderen Befürchtungen und Geschehnissen, die auf ihn zuvor bedrohlich gewirkt hatten. Gewisse Erinnerungen an Gewalt und Blut kehrten nicht wieder, und er war ohne Scham, und sein Groll blieb gedämpft und beherrscht. Er kam gar nicht auf den Gedanken, gegen Atiarans unerschütterliche Führerschaft zu rebellieren. Auch im Laufe dieses dritten Tages erlahmte die Triebkraft ihrer hochaufgerichteten, schonungslosen Erscheinung nicht im mindesten. An Hängen hinauf und Abhängen hinunter, vorbei an Schluchten und beim Umgehen von Dickichten – immer an den westlichen Ausläufern der Hügel entlang – zerrte sie ihn gegen seine verbissene Abneigung und sein widerspenstiges Fleisch mit sich. Am frühen Nachmittag blieb sie jedoch urplötzlich stehen; sie schaute umher, als habe sie aus der Ferne einen Schrei vernommen. Ihre unerwartete Besorgtheit verblüffte Covenant, doch ehe er sich danach erkundigen konnte, was los sei, marschierte sie bereits mit ihrer unbarmherzigen Entschiedenheit weiter. Einige Zeit später verharrte sie erneut. Diesmal sah Covenant, daß sie in der Luft schnupperte, als trage der Wind einen verräterischen Geruch nach Bösem heran. Er schnupperte ebenfalls, roch aber nichts. »Was ist?« fragte er. »Werden wir wieder verfolgt?«
Sie sah ihn nicht an. »Ich wünschte, Trell wäre hier«, sagte sie leise und zerstreut. »Vielleicht ersähe er, warum das Land so unruhig ist.« Ohne nähere Erläuterungen wandte sie sich hastig von neuem nach Norden.
An diesem Nachmittag machten sie früher halt, als Covenant aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen erwartete. Am Spätnachmittag bemerkte er, daß sie nach irgend etwas Umschau hielt, irgendeiner Art von Zeichen im Gras und an den Bäumen; aber sie sprach kein Wort, um ihm zu erklären, worum es ging, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu achten, was sie tat, und ihr zu folgen. Plötzlich bog sie ohne Vorankündigung scharf nach rechts ab und eilte voraus in ein flaches Tal zwischen zwei Hügeln. Sie mußten am Rand des Tals entlangwandern, weil die Talsohle fast völlig bedeckt war von zügellos wucherndem Brombeergebüsch; nach ein paar hundert Metern kamen sie an ein ausgedehntes, dichtes Gesträuch am nördlichen Hügel. Atiaran begann die Sträucher zu umrunden; dann verschwand sie völlig unvermutet darin. Auf ungewisse Weise verwundert, begab sich Covenant an die Stelle, wo sie verschwunden war; dort erspähte er mit einiger Mühe einen engen Durchgang, der mitten zwischen das Strauchwerk führte. Nur seitwärts vermochte er diesen Pfad zu begehen; er mußte an einigen Bäumen vorüber, und ein paar Meter weiter gelangte er auf eine kleine Lichtung, die mitten im Gehölz einen Hohlraum wie ein Zimmer bildete. Die Örtlichkeit erhielt Helligkeit durchs Licht, das durch die ›Zimmerwände‹ sickerte, die aus dicht aneinander gepflanzten Schößlingen bestanden und sie in einem groben Rechteck eingrenzten; schwacher Wind durchwehte sie und verursachte unablässiges Rascheln. Ein Geflecht aus Zweigen und Laub versah den Hohlraum mit einem hinreichenden Dach. Die Räumlichkeit war reichlich groß genug für drei oder vier Personen, und an allen Seiten befanden sich mit Gras bewachsene Erhebungen, die wie Betten wirkten. In einer Ecke ragte ein dickerer Baum mit ausgehöhltem Stamm in die Höhe, in dessen Aushöhlung man Regale gebaut hatte, und darin waren Töpfe und Flaschen sowohl aus Stein wie auch aus Holz gelagert. Die Örtlichkeit machte einen wohldurchdacht freundlichen, heimeligen Eindruck.
»Dies ist eine Wegrast«, sagte Atiaran kurz angebunden, als sie ihr Bündel auf eine der Bettstätten warf, während Covenant sich noch umschaute. Als er ihr eine Miene voll unausgesprochener Fragen zuwandte, seufzte sie. »Ein Rastplatz für Reisende«, ergänzte sie. »Hier gibt's Speise und Trank und Ruhe für jeden, der im Vorüberziehen einkehrt.«
Sie trat zum Baum, um den Inhalt der Aushöhlung in Augenschein zu nehmen, und ihre Geschäftigkeit zwang Covenant, sich seine Fragen zu verkneifen und für einen späteren Zeitpunkt aufzuheben, wenn sie demnächst einmal etwas zugänglicher sein sollte. Doch während sie die Vorräte in ihrem Bündel auffrischte und eine Mahlzeit zu bereiten begann, sah er allmählich ein, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, daß sie jemals wieder ihm gegenüber umgänglicher auftrat; und andererseits befand er sich nicht in der Stimmung, um sich in Unwissenheit halten zu lassen. Deshalb
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