Der Fluch des Verächters - Covenant 01
einiges an Mut. Noch ehe er die Hälfte des Abstiegs geschafft hatte, klopfte sein Herz nicht länger so heftig, und er brachte es fertig, seinem Halt an den Sprossen soweit zu vertrauen, um sich beim Herunterklettern die Bauten und Menschen anzusehen. Endlich erreichte er wohlbehalten die untersten Äste und folgte Atiaran über die Wendeltreppe im Stamm auf den Erdboden hinab. Drunten waren die Heers versammelt, um sich von ihnen zu verabschieden. Als er Baradakas sah, nahm Covenant den Stab in die Hand und hob ihn in die Höhe, um zu zeigen, daß er ihn nicht vergessen hatte, und als der Allholzmeister lächelte, widmete Covenant ihm ein breites Grinsen.
»Wohlan, ihr Botengänger«, sagte Llaura nach kurzem Schweigen. »Ihr habt uns mitgeteilt, daß das Schicksal des Landes auf euren Schultern ruht, und wir glauben euch. Es bereitet uns Kummer, daß wir euch diese Bürde nicht erleichtern können, aber wir sind davon überzeugt, daß in dieser Sache niemand an eure Stelle treten könnte. Was wir euch an geringer Hilfe zu geben vermögen, ist euch zuteil geworden. Fortan bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Heimstätten zu verteidigen und für euch zu beten. Im Interesse des ganzen Landes wünschen wir euch geschwindes Vorankommen. Und in eurem eigenen Interesse raten wir euch dringlich, das Frühlingsfest nicht zu versäumen. Auf jeden, der dieser Festlichkeit beiwohnt, können große Zeichen der Hoffnung warten. Atiaran, Trells Gemahlin, ziehe getreulich in Frieden. Gedenke des Weges, den dir Soranal riet, und weiche nicht ab. Thomas Covenant, Zweifler und Fremder im Lande – sei getreu. In der Stunde der Finsternis besinne dich auf des Allholzmeisters Stab. Und nun geht eures Weges.«
Atiaran antwortete so förmlich wie beim Vollzug eines Zeremoniells. »Wir ziehen dahin und gedenken des Holzheims Hocherhaben dankbar für Obdach, Hilfe und Hoffnung.« Sie verneigte sich, legte die Handflächen an ihre Stirn und breitete die Arme aus. Covenant ahmte ihr Beispiel nach, allerdings unsicher in seinen Gesten. Die Heers erwiderten die offenherzige Gebärde des Abschieds mit vorsätzlicher Feierlichkeit. Dann wandte sich Atiaran gen Norden, und Covenant folgte ihr wie ein Blatt im Sog eines Wirbelwinds, mitgerissen vom Schwung ihrer Entschlossenheit.
Keiner von ihnen blickte zurück. Die Ruhe und Beköstigung, welche ihnen in dem angenehmen freundlichen Baumdorf zugekommen waren, verliehen ihnen einen gewissen Vorwärtsdrang, eine lebhafte Bereitschaft zum Streben nach vorn; auf unterschiedliche Art lag ihnen daran, bald nach Andelain zu gelangen, und sie wußten beide, daß Jehannum vom Holzheim Hocherhaben aus ostwärts gezogen war, nicht in die nördliche Richtung. Sie eilten durch die in immer reichhaltigerer Üppigkeit bewachsenen Hügel dahin und kamen schon am frühen Nachmittag ans Ufer des Mithil. Sie überquerten ihn, indem sie durch eine breite Untiefe wateten. Bevor Atiaran ins Wasser ging, zog sie ihre Sandalen aus, und irgendeine nur halb bewußte Einsicht bewog Covenant dazu, sich die Stiefel und Socken abzustreifen und die Hosenbeine aufzurollen. Als er die ersten gehaltvollen Düfte der jenseitigen Hügel roch, hatte er irgendwie das Gefühl, er müsse, um auf den Landstrich drüben vorbereitet zu sein, den Mithil barfuß durchqueren, daß die Fußwaschung im Strom notwendig sei, um sein Fleisch in die feinere Substanz Andelains umzuwandeln. Und als er das nördliche Ufer betrat, stellte er in der Tat fest, daß er die Lebenskraft des Erdreichs durch seine Fußsohlen fühlen konnte; sogar sie besaßen nun ein Gespür für die Gesundheit des Landes.
Die starke Wahrnehmung der Hügel unter seinen Zehen gefiel ihm so ausgezeichnet, daß er einen Widerwillen dagegen entwickelte, wieder in die Stiefel zu steigen, aber er versagte sich das Behagen der Barfüßigkeit, um weiterhin mit Atiaran Schritt halten zu können. Am anderen Ufer ließ er sie erneut vorangehen, auf dem Weg, den einzuschlagen ihr Soranal geraten hatte – eine nicht allzu beschwerliche Strecke mitten durch Andelain –, und während er marschierte, bestaunte er die Veränderung, die über die Erde gekommen zu sein schien, seit sie den Fluß überquert hatten. Er empfand die Andersartigkeit dieses Landstrichs mit aller Deutlichkeit, aber er fühlte auch, daß sie über die Einzelheiten hinausging, aus denen sie sich zusammensetzte. Die Bäume waren hier im allgemeinen höher und ausladender gewachsen als ihre südlichen
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