Der Fluch vom Valle della Luna
Motorengeräusch lässt etwas anderes vermuten. Sie fragt Boboi, der leise grinst. Sie gehen ums Haus zu einem Schotterplatz, auf dem ein brandneuer BMW-Geländewagen und ein verbeulter alter Jeep stehen. Dahinter beginnt eine schmale, unbefestigte Straße.
»Tja, wenn man sich die Beine vertreten will und keinen Geländewagen hat, kommt man über den alten Bergpfad. So ist es jedoch sehr viel bequemer. Allerdings gibt es ein Gatter und man braucht den Schlüssel. Übrigens, möchten Sie mal einen richtig guten Käse probieren?«
Nelly unterdrückt ein Stöhnen und sieht verstohlen zu Gerolamo hinüber, der die Augen verdreht. Einzig der angebotene Käse tröstet sie über die überflüssige Wanderung hinweg. Während sie auf Boboi warten, der den versprochenen Käse holt, dringt Nelly ein Geruch in die Nase, den sie schon eine ganze Weile wahrnimmt, ohne zu wissen, weshalb er sie nervös macht. Mit einemmal begreift sie, dass es derselbe Geruch ist, den sie am Abend zuvor im Dunkeln gerochen hat. Ein Geruch nach Vieh, nach Stall. Nach »Wildheit«.
Basile ist bester Laune. Filippo bewegt sich und murmelt unverständliches Zeug im Schlaf. Die Ärzte sind zuversichtlich, dass er bald wieder zu sich kommt. Sie sitzen im Restaurant, vor sich ein Gläschen Myrtenschnaps, es ist Abend. Nach der Wanderung zu Boboi Sogos hat der Tag Nelly und Gerolamo nicht viel Neues gebracht. Die alten Schulfreunde von Giacomo und Lorenza haben nichts Interessantes von sich gegeben. Basile hingegen hat sich bei seinen ehemaligen Kollegen über das Schicksal der Sogos-Brüder schlaugemacht
Nelly und Gerolamo haben ihm gerade von ihrem Besuch bei Boboi Sogos erzählt, und Nelly hat ihm stolz einen schwarzen, abstoßend aussehenden, aber göttlich schmeckenden Käse unter die Nase gehalten. Gerolamo hat sich von dem Hirten tatsächlich die Adresse des Messerschmieds geben lassen, bei dem er sich auch eines kaufen will. Jetzt ist Basile an der Reihe.
»Ich hatte so sehr gehofft, dass Filippo aufwacht, während ich bei ihm bin. Zum Glück wird er im Krankenhaus wirklich gut betreut. Also, ihr wolltet was über die Sogos-Brüder wissen. Ich habe mir die Akte angesehen und die Protokolle kopiert. Der älteste war Gavino, Jahrgang vierzig, dann Giovanni, genannt Panni, Jahrgang einundvierzig, und dann Salvatore, genannt Boboi, Jahrgang neunundvierzig. Der Vater Gianuario Sogos war eine Art Pächter und Vertrauensmann von Rodolfo Pisu. Dann, als er einen Teil seiner Güter verkauft hat, sind sie zu den Käufern übergewechselt, den Seccis. Die beiden älteren waren ziemlich aufsässige Kerle. Vor allem Gavino. Streitereien, Viehdiebstahl, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Aber deshalb kommt einer noch lange nicht bei einem Schusswechsel mit den Carabinieri ums Leben oder landet jahrelang im Knast wie Panni. Man ist ihnen draufgekommen, dass sie in den sechziger Jahren in mehrere Entführungen verwickelt waren, die sich in relativ weit voneinander entfernten Gegenden Sardiniens abgespielt haben. Vier konnten ihnen mit Sicherheit nachgewiesen werden, bei anderen weiß man nichts Genaues. Es gab keine Beweise. Gavino ist erwischt worden, während er nach einer Entführung offenbar gerade das Lösegeld abholen wollte, er hat angefangen zu schießen und ist dabei draufgegangen. Panni ist in derselben Schießerei verletzt worden. Sie hatten ein blutbeflecktes Kleidungsstück der Geisel bei sich, die sie vermutlich umgebracht haben – die Leiche wurde nie gefunden. Es handelte sich um ein Kleinkind. Damals war die Öffentlichkeit zutiefst geschockt. Und dann begann die Zeit der politischen Verbrechen, die die Gesellschaft jahrelang in Atem gehalten haben, und in Sardinien gab es so viele Entführungen, dass kaum noch jemand darüber geredet hat.«
»Verdammt«, murmelt Nelly betroffen. »Und Boboi? Ich meine, Salvatore?«
»Der war damals noch ganz jung und hatte mit den Taten der Brüder nichts zu tun. Die Mutter ist gestorben, kurz nachdem Panni lebenslänglich bekommen hat, der Vater hat sich mit einem Gewehr in den Mund geschossen.«
»Verdammt hoch zwei«, sagt Nelly bestürzt. »Was Tragödien angeht, können es die Sogos glatt mit den Pisus aufnehmen.«
Basile muss an Filippo im Krankenhaus denken und seufzt. Es ist Sonntagabend. Morgen geht es nach Genua zurück.
III
Vor ihrer Abreise aus Luras wollte Nelly sich von Signora Amalia verabschieden, doch sie war nicht da. Nur Toro, der im Garten umherlief und sie mit freundlichem
Weitere Kostenlose Bücher