Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
einen Mann handelte. Um einen großen Mann.
Im Schlaf drehte Joss sich um, so daß sie ihm das Gesicht zuwandte, öffnete aber nicht die Augen. Ihre Hand fuhr beschützend zu ihrem Bauch und blieb dort liegen. Bekümmert lehnte sich Luke mit der Stirn an die Fensterscheibe, die sich glatt und kühl anfühlte. Sein Kopf tat ihm weh, seine Augen waren gerötet; er bekam zuwenig Schlaf. Als er sich wieder zur Tür umwandte, sah er nicht den Schatten, der mittlerweile neben seiner Frau stand. Luke fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und ging auf den Treppenflur hinaus; die Tür zog er vorsichtig hinter sich zu. Im Schlafzimmer beugte sich der Schatten über das Bett. Nur die leichte Vertiefung im Laken zeigte, wo er sie berührte.
Im Verlauf der Woche hatte Joss die Nummer viermal gewählt. Heute morgen hatte sie es erneut versucht, aber wieder ohne Erfolg. Sie legte den Hörer auf, stützte das Kinn in die Hände und starrte auf den Schreibtisch, ohne etwas wahrzunehmen. Nachdem der Arzt gegangen war, hatte sie nur leicht und unruhig geschlafen; zweimal war sie von ihrem eigenen Wimmern aufgewacht. Als sie schließlich aufstand, fühlte sie sich steif und angespannt und brachte zum Frühstück nichts hinunter. Ihr einziger Gedanke war, daß sie unbedingt mit Edgar Gower sprechen mußte. Mit zitternden Fingern wählte sie seine Nummer wieder, und diesmal hob endlich jemand ab.
»Hier ist Joss Grant. Erinnern Sie sich? Ich bin Laura Duncans Tochter.«
Bildete sie es sich nur ein, oder war die Pause am anderen Ende tatsächlich länger als normal?
»Natürlich. Jocelyn. Wie geht es Ihnen?«
In ihrer Angst überging sie die Frage. »Ich muß Sie sehen. Kann ich heute zu Ihnen nach Aldeburgh kommen?«
Wieder diese Pause, dann ein Seufzen. »Darf ich Sie fragen, weswegen Sie mich sehen wollen?«
»Wegen Belheddon.«
»Ah ja. Dann hat es also wieder angefangen.« Er klang resigniert und etwas verärgert.
»Sie müssen mir helfen«, sagte sie flehentlich.
»Natürlich. Ich tue alles, was ich kann. Kommen Sie sofort.« Er hielt kurz inne. »Rufen Sie von Belheddon aus an?«
»Ja.«
Nach einem kurzen Schweigen sagte er schließlich: »Dann seien Sie vorsichtig. Fahren Sie gleich los.«
Die Garage war leer und verschlossen. Von Luke war nirgends eine Spur zu sehen, ebensowenig wie von Jimbo. Der Citroën war fort. Erschrocken blickte Joss auf die Stelle, wo er normalerweise stand. Eine Stunde zuvor war ein gewittriger Regenguß niedergegangen, und sie sah das trockene Viereck auf dem Kies, wo er geparkt gewesen war. Sie ging in die Küche und rief nach Lyn. Keine Antwort, und auch von Tom war nichts zu hören oder zu sehen. Sie lief zum hinteren Eingang, wo immer die Mäntel hingen. Lyns Regenmantel war nicht da, ebensowenig
wie Toms, und seine kleinen roten Gummistiefel fehlten ebenfalls. Sie waren mit Luke fortgefahren, ohne sich zu verabschieden oder nach ihr zu sehen.
Einen Augenblick lang geriet sie in Panik.
Sie mußte jetzt fahren. Sie mußte sofort Edgar Gower sehen. Lyns Auto. Keuchend lief sie zur Garage. Lyns Wagen stand auf einer der offenen Parkflächen. Er war zugesperrt. »O bitte, laß die Schlüssel dasein.« Sie hastete ins Haus zurück. Die Schlüssel lagen nicht auf dem Regal neben der Tür, wo Lyn sie manchmal deponierte; und sie waren auch nicht auf der Anrichte oder dem Küchentisch. Mit zusammengebissenen Zähnen ging Joss zur Treppe, umklammerte das Geländer und sah hinauf. Plötzlich widerstrebte es ihr, nach oben zu gehen. Aber da war niemand. Nichts konnte ihr etwas anhaben. Mit trockenem Mund setzte sie den Fuß auf die unterste Stufe und stieg langsam, mit leisen Schritten hinauf.
Der Schatten in ihrem Schlafzimmer bewegte sich und schwebte langsam zur Tür.
Katherine, ich liebe dich!
Auf halber Höhe der Treppe überkam Joss ein Schwindelgefühl, so daß sie stehenbleiben mußte. Entschlossen umklammerte sie das Geländer und schleppte sich Stufe um Stufe nach oben; sie fühlte sich immer matter. Schließlich stand sie vor der Tür zu Lyns Zimmer, öffnete sie und ging hinein.
Hier herrschte, wie immer, makellose Ordnung. Das Bett war gemacht, die Schränke geschlossen. Nirgends verstreute Kleidungsstücke, Bücher oder Zeitungen. Die Gegenstände auf der Frisierkommode und dem hohen viktorianischen Schubladenschrank waren in kleinen Häufchen angeordnet. Dort, neben Bürste und Kamm, lagen auch die Autoschlüssel.
Joss griff nach ihnen und drehte sich zur Tür. Sie
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