Der Fluch
zusammennehmen, um sie nicht wegzustoßen. Ich hasse es, angefasst zu werden. Und der Alkoholdunst, den er ausströmt, verursacht mir Übelkeit.
»Lass mich los, Sam. Sofort.«
Sein Griff lockert sich nicht.
»Nur wenn du versprichst, mit mir auszugehen. Ein richtiges Date, verstehst du? Nur du und ich. Sam und Rose. Na, wie klingt das?«
Vergeblich versuche ich, mich aus seiner Umklammerung zu lösen, und sage möglichst cool: »Klingt falsch, Sam. Also, vergiss es.«
Nun ist sein Mund direkt an meinem Ohr. Ich kann seine Zunge sehen und Speicheltropfen auf seinen Lippen. Es ist einfach nur widerlich.
»Noch hast du eine Wahl, Rose.«
Ich weiß nicht, was er damit meint, aber es interessiert mich auch nicht, denn in diesem Moment erkenne ich endlich Katie ganz hinten am Fenster.
Schnell reiße ich mich los, ducke mich unter Sams ausgestrecktem Arm hindurch und bringe so eine Studentin mit langen blonden Haaren zwischen ihn und mir.
Katie hat mich auch gesehen. Sie winkt mir zu. »Hey, Rose«, ruft sie. »Hier!«
Doch ich habe mich zu früh gefreut. Gerade als ich mich an Tischen und Stühlen vorbeidränge, schneidet mir Sam von der anderen Seite den Weg ab. Die unverhüllte Wut, die jetzt in seinen Augen aufblitzt, macht mir Angst. »Jetzt fühlst du dich noch sicher, Rose«, zischt er. »Aber vielleicht bist du irgendwann froh, wenn ich in deiner Nähe bin.«
Ich weiß nicht, warum ich mir die Mühe mache zu antworten. »Warum sollte das passieren?«
»Vielleicht, weil du Schutz brauchst?«
Mit diesen Worten dreht er sich zur Bar um und lässt mich stehen. Ich habe keine Ahnung, was genau er meint, aber bei dem Wort Schutz überläuft es mich eiskalt.
Offenbar verteidigt Katie den Tisch in der Nähe der winzigen Bühne mit ihrem Leben. Drei Studentinnen aus meiner Freshmen-Gruppe fragen sie nach freien Stühlen. Sie kennen Katie noch nicht. Ihr Blick ist mörderisch. Und ihre Bemerkungen können tödlich sein. In Kombination schlägt sie damit die drei locker in die Flucht.
In dem Kellerraum ist es unangenehm eng. Bis ich bei Katie bin, muss ich mich fünfmal entschuldigen, weil ich jemandem auf die Füße getreten bin.
Man kann sich nur schreiend verständigen. Kaum sitze ich, beginnt Katie, sich bereits lautstark zu beschweren. »Oh Mann, die Freshmen wissen offenbar nicht, dass sie uns älteren Studenten mit Respekt begegnen müssen. Ist es nicht dein Job als Studienbetreuerin, ihnen die wichtigsten Verhaltensregeln beizubringen? Sie sind lästig wie Fliegen. Ständig fragt mich irgendeine Blondine, die die Rocky Mountains mit der Fifth Avenue in New York verwechselt – besonders was die Schuhe betrifft –, nach der Toilette. Freshmen-Blasen kann ich dazu nur sagen. Geradezu inkontinent.«
Ich muss tatsächlich grinsen, was Katies böse Zunge erst so richtig in Fahrt bringt.
»Ich meine, da frage ich mich doch, was wollen die hier, wenn sie nicht einmal das Klo finden? Oder gibt es neuerdings einen Grundkurs zu diesem Thema?«
Ja, Katie kann sehr bösartig sein. Ich mag das. Weil ich das genaue Gegenteil bin. Und gerade jetzt tut mir ihre Art einfach nur gut.
»Die sind gerade dabei, ein neues Leben anzufangen«, entgegne ich. »Und du warst die ersten Tage auch nicht so cool wie jetzt.«
»Aber ich habe nicht herumgejammert, wie abgeschieden das hier oben ist. Oder wo ich shoppen gehen kann. Shoppen, ich bitte dich!«
Ich lächele und nehme einen Schluck aus Katies Glas. Sich Katie in der Mall beim Einkaufen vorzustellen, fällt wirklich schwer. Das Einzige, was sie braucht, sind neue Kletterschuhe.
»Was war denn nun so dringend?«, fragt Katie und lehnt sich zurück.
Ich schüttele den Kopf. »Ach nichts«, weiche ich aus. »Ich musste einfach mal raus.«
»Gib’s zu. Du bist auf der Flucht vor den Frischlingen!« Katie grinst. »Aber keine Chance. Nicht mal hier. Dein Typ ist überall gefragt.«
»Was meinst du?«
»Na, die Rothaarige dort hinten. Die starrt schon die ganze Zeit zu uns herüber.«
Ich folge ihrem Blick und sehe das Mädchen, das an der anderen Seite der Bühne an der Wand lehnt. Ihr Gesicht kann ich nicht deutlich erkennen, aber ihre Körperhaltung wirkt angespannt. Es ist Muriel und sie ist allein.
»Die ist zwar neu, aber schon in unserem Jahr. Hauptfach Kunst, genau wie ich. Sie kommt auch aus Boston«, sage ich. »Offenbar sucht sie Anschluss.«
Katie stöhnt. »Rose, versprich mir eins. Wenn sie gleich zu uns herüberkommt, halte bitte den Mund, okay?
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