Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
Vom Netzwerk:
Spiel, sondern eine unmissverständliche Aufforderung.
    Und natürlich werde ich gehen.
    Allein.
    Es ist nicht so, dass ich dumm bin. Ich weiß selbst, dass ich mich damit in Gefahr bringe und die Bedrohung vielleicht nicht mehr werde selbst kontrollieren können.
    Aber ich sehne mich nach dieser Gefahr. Ich sehne den Moment herbei, wo über mich das Schicksal entscheidet.
    So wie es über Sally entschieden hat.
    Vielleicht ist dann endlich alles vorbei.
    Immerhin denke ich an mein Handy. Ich greife nach meiner Tasche, die über dem Schreibtischstuhl hängt, und suche nach dem Telefon, aber es bleibt verschwunden.
    Ich runzele die Stirn. Zum letzten Mal hatte ich es in der Hand, als ich David von der Hütte aus angerufen habe. Habe ich es dort draußen liegen lassen? Nicht unwahrscheinlich, so aufgeregt und durcheinander, wie ich war.
    Egal.
    Ich habe mich entschlossen, mich der Wirklichkeit zu stellen. Ich lösche das Licht, schließe die Zimmertür sorgfältig hinter mir und verlasse das Apartment.
    Und wie das Schicksal so spielt, steht der Aufzug bereit, als hätte er schon auf mich gewartet.
    Als Erstes betätige ich alle Lichtschalter und tauche die Ateliers in das grelle Licht der Halogenbeleuchtung.
    Ich sehe mich einem undurchdringlichen Dschungel gegenüber, der aus Staffeleien, Farbtöpfen, Leinwänden, halb fertigen Skulpturen besteht.
    Wenn hier jemand ist, dann kann er überall sein.
    Jemand.
    Wer ist dieser Jemand?
    George?
    Dieser Gedanke hat sich in mir festgesetzt, seitdem ich das Foto auf dem Handy entdeckt habe. George Tudor, der Geist, den selbst Robert nicht im Internet hat ausfindig machen können. George, der mich verfolgt hat, um mich angeblich zu beschützen. George, auf dessen Anzug Flecken waren, dunkle Flecken.
    Wie Blut.
    Als ob Wind durch Bäume streift, bewegen sich mit jedem meiner Schritte die Plastikplanen, die von der Decke hängen. Ich drehe mich um und starre auf die offene Tür. Noch kann ich umkehren, aber ich tue es nicht.
    Das Schicksal herbeizusehnen, ist eine Sache. Es anzunehmen erfordert allerdings mehr Mut, als ich es mir hatte vorstellen können.
    Schritt für Schritt wage ich mich nach vorne, trete dabei in eine Pfütze aus dunkelroter Farbe, die von einer riesigen Leinwand getropft ist. Auf dem Bild ist in abstrakter Form eine Art Schlacht dargestellt. Jedenfalls fließt viel Blut.
    Ich umrunde den Torso einer Frau. Die Formen sind aus dem Holzblock herausgemeißelt und Sägemehl hängt in der Luft. Ich muss husten.
    Und so durchquere ich langsam, Schritt für Schritt, einen Raum nach dem anderen und erwarte jeden Augenblick, dass mir jemand in den Weg tritt, was nicht der Fall ist.
    Als ich den letzten Raum erreiche, sehe ich auf das Display des Handys in der Hoffnung, ich würde eine SMS erhalten, die mir sagt, was ich tun soll. Aber ich habe keine Nachricht erhalten. Wieder bleibt mir nur zu warten.
    Als hätte mich jemand dazu aufgefordert, nehme ich das Tuch von meiner Staffelei. Ich handele automatisch, denke nicht länger nach. Lange betrachte ich mein Bild, mustere jede Einzelheit und dann nehme ich den Pinsel in die Hand und mische die Farben an.
    Hinter der Glasfront zum See stehen die schwarzen Wolken vollkommen unbewegt am Himmel, als wären sie lediglich ein Abbild der Realität, aber ich kümmere mich nicht darum, ich bin in einer ganz anderen Welt.
    Das Gesicht, das hinter der Totenmaske hervorkommt, ist Sally. Und es ist absurd, dass ich hier stehe und male, aber es erscheint mir absolut folgerichtig. Das helle Grau der Totenmaske ist der Nebel auf dem Lake Mirror. Sallys blaue Augen spiegeln das Wasser, auf das ich von hier oben aus blicke. Ihre zarte Haut wird von dem Rosé der Morgendämmerung überzogen. Wieder einmal male ich wie in Trance, male mir die Seele aus dem Leib.
    Mit diesem Bild kehrt die Vergangenheit in die Wirklichkeit zurück – so könnte man sagen. Die Ereignisse von vor zwei Jahren holen mich ein, sind plötzlich ganz nah. Alles, was ich die letzten Monate getan habe, um dem Vergessen eine Chance zu geben, war sinnlos. Ich muss damit leben. Das zeigt mir das Tal.
    Man denkt, das Grace Valley sei ein Zufluchtsort, sozusagen die große Einsamkeit, aber eigentlich ist es eine Sackgasse. Endstation. Weiter geht es nicht. Man kann sich nicht länger belügen, sich nicht immer weiter aus dem Weg gehen.
    Man wird auf das Spielfeld des Schicksals gesetzt. Eine Art Adventurespiel, in dem es darum geht, Aufgaben zu lösen. Aber es ist

Weitere Kostenlose Bücher