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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Blattes in Brand und entfachte ein Feuer in den winzigen freien Räumen zwischen Ästen und Lianen.
    Ein Stück weiter bachaufwärts war ein Barackenlager zu erkennen. Dichte Rauchschwaden stiegen aus den Blechkaminen. Die Zuflucht von Otto Kiefer. Dorthin wandte ich mich.
    Es war wieder eine Lichtung, rot und schlammig, umringt von Hütten und Zelten aus Leinwand. In der Mitte war eine lange Planke aufgebockt, an der etwa dreißig Arbeiter Kaffee tranken und Maniok aßen. Ein paar beugten sich über ein Kofferradio und versuchten, trotz des Generatorenlärms RFI oder Radio Bangui zu hören. Horden von Fliegen belagerten ihre Gesichter.
    Vor den Zelteingängen brannten Lagerfeuer, und über den Flammen brieten Affen, knisternd und unter Verbreitung eines abscheulichen Gestanks nach schlechtem Fleisch. Die Männer auf der Lichtung bebten vor Schüttelfrost. Manche trugen mehrere Schichten Kleider übereinander - Jacken, Pullover, Ölhäute, alle durchlöchert und stark zerknittert -, und ihre Schuhe fielen ihnen fast von den Füßen: an den Spitzen oder Fersen klafften die Sandalen, Stiefel, Mokassins wie Krokodilmäuler. Andere hingegen waren halb nackt. Ich sah eine lange und dünne Gestalt im türkisfarbenen Burnus, eine Art chinesischen Strohhut auf dem Kopf, der Mann hatte einem Ameisenbär die Kehle aufgeschlitzt und fing jetzt sorgfältig das Blut des Tieres auf.
    Eine widersprüchliche Atmosphäre herrschte hier: eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung, aus Ungeduld und Gelassenheit, aus Erschöpfung und Aufregung. Alle diese Männer hingen demselben vergeblichen Trugbild nach. An ihre Träume geklammert, brachten sie ihr Leben damit zu, Tag für Tag mit den Händen im scharlachroten Schlamm zu wühlen. Ich blickte mich um: von einem Fahrzeug war nichts zu sehen. Kein Entkommen. Diese Männer waren die Geiseln des Waldes.
    Ich trat an den Tisch. Ein paar hoben die Köpfe, sehr langsam, und einer fragte: »Was suchst du, Chef?«
    »Otto Kiefer.«
    Der Mann deutete mit einem Blick zu einer Wellblechhütte hinüber, an der ein Schild hing mit der Aufschrift Direktion. Die Tür war nur angelehnt. Ich klopfte und trat ein, die Hand am Griff der Glock. Ich war vollkommen ruhig.
    Der Anblick, der sich mir bot, hatte nichts Erschreckendes an sich. Ein großer Kerl, dessen Blässe an das fahle Grau eines Skeletts erinnerte, war um die Reparatur eines Videorecorders bemüht, der auf einem alten Fernsehapparat stand, einem Modell aus Holz und Metall. Der Mann war um die Sechzig. Er trug denselben Hut wie ich - eine khakifarbene, glockenförmige Mütze mit genieteten Luftlöchern - und ein gräuliches Trikothemd; am Gürtel hing ein leeres Pistolenholster. Sein Gesicht war lang, knochig und ausgemergelt, spitz stach die Nase über dünnen Lippen hervor. Als ich eintrat, heftete er seine Augen auf mich. Wasserblau, verwaschen und leer.
    »Tag. Was woll’n Se hier?«
    »Sind Sie Otto Kiefer?«
    »Nein. Clement mein Name. Kennen Sie sich mit Videorecordern aus?«
    »Eigentlich nicht. Wo ist Otto Kiefer?«
    Statt einer Antwort beugte der Mann sich wieder über das Gerät und murmelte: »Brauchte vielleicht ‘nen Schraubenzieher.«
    Ich fragte noch einmal: »Wissen Sie, wo Kiefer ist?«
    Clement drückte auf sämtliche Tasten und prüfte die Kontrollichter. Einen Moment später verzog er sein Gesicht zu einem Grinsen, und mich packte das Grauen: der Kerl hatte spitz zugefeilte Zähne.
    »Was woll’n Se denn von ihm?« fragte er jetzt, ohne aufzusehen.
    »Ich will ihm bloß ein paar Fragen stellen.«
    Der Alte brummte vor sich hin: »Ich brauch ‘nen Schraubenzieher, und den hab’ ich nicht. Aber ich glaub’, ich hab’ trotzdem was Brauchbares.«
    Er umrundete mich und trat hinter einen eisernen Schreibtisch, auf dem etliche leere Flaschen standen und feuchte Papiere sich stapelten. Er zog die oberste Schublade auf. Sofort stürzte ich mich auf ihn und schlug mit Gewalt die Schublade über seiner Hand zu. Mit aller Kraft drückte ich auf den ausgestreckten Arm und hörte, wie mit einem trockenen Knacken das Handgelenk brach. Clement zuckte nicht mit der Wimper. Ich stieß ihn fort, und er prallte gegen die feuchte Holzwand. Seine gebrochene Hand umklammerte eine Smith & Wessen Modell 38. Ich entriß ihm den Revolver, und der Alte nutzte die Gelegenheit, um mich mit seinen spitzen Zähnen in die Hand zu beißen, aber ich vermochte da keinen Schmerz zu empfinden. Mit dem Kolben seiner Waffe hieb ich ihm quer übers

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