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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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merkwürdig unwirkliche Dimension.
    Nach einer Weile hatte Böhm unvermittelt gemurmelt: »Sie haben Sie erobert, nicht wahr?« Und ich hatte seinen Blick erwidert und stumm genickt.
    Am nächsten Morgen, nachdem Böhm mir eine umfangreiche Akte mit Kontaktadressen, Landkarten und Fotografien ausgehändigt hatte und wir die Treppe von seinem Büro hinaufstiegen, hatte der Schweizer mich jäh am Arm gepackt und in gehetztem Ton gesagt: »Ich hoffe, Sie haben mich richtig verstanden, Louis. Diese Sache ist außerordentlich wichtig für mich. Ich muß unbedingt meine Störche wiederfinden und erfahren, warum sie fortbleiben. Es geht um Leben und Tod!« Im Zwielicht der Kellertreppe hatte ich seine Miene gesehen und war selber erschrocken. Eine weiße Maske war sein Gesicht, so starr, als könnte es jeden Augenblick zerspringen. Böhm war anscheinend halb tot vor Angst.
    In der Ferne erhoben die Vögel sich langsam und majestätisch in die Luft. Ich sah ihren gemessenen Bewegungen durch das Morgenlicht nach. Mit einem Lächeln wünschte ich ihnen gute Reise und setzte meinen Weg fort.
    Um halb eins war ich am Bahnhof von Lausanne. Zwanzig Minuten später ging ein Hochgeschwindigkeitszug nach Paris. Ich fand eine freie Telefonzelle in der Halle und rief aus einem Reflex heraus bei mir zu Hause an, um den Anrufbeantworter abzuhören. Ulrich Wagner hatte angerufen, ein deutscher Biologe, den ich einen Monat zuvor im Zuge meiner vogelkundlichen Vorbereitungen kennengelernt hatte. Ulrich und sein Team schickten sich an, die Wanderung der Störche über Satellit zu verfolgen. Sie hatten etwa zwanzig Individuen mit japanischen Minisendern ausgerüstet, mit deren Hilfe sie die Vögel dank den Argos-Koordinaten täglich exakt lokalisieren konnten. Sie hatten mir angeboten, ihre über Satellit gewonnenen Daten zu verwenden - was mir eine enorme Hilfe gewesen wäre; es ersparte mir, winzigen Ringen nachzulaufen, die schwer auszumachen waren. Wagners Nachricht auf Band lautete: »Wir sind soweit, Louis! Sie fliegen ab! Das System funktioniert großartig. Rufen Sie mich an, dann gebe ich ihnen die Nummern der Störche und ihre genaue Position durch. Alles Gute!«
    So hatten die Vögel mich schon wieder eingeholt. Ich verließ die Telefonzelle. Der Bahnhof war voller Familien mit rotbackigen Kindern und gewaltigen Reisetaschen, die ihnen in die Kniekehlen schlugen. Touristen mit neugieriger und gelassener Miene strömten auf mich zu. Ich sah auf die Uhr und machte kehrt, zurück zum Taxistand. Ich ließ mich zum Flughafen fahren.

II
SOFIA IN ZEITEN DES KRIEGES

6
     
    In letzter Minute erreichte ich noch den Flug Lausanne-Wien. In Schwechat nahm ich mir einen Leihwagen und war gegen Abend in Bratislava. Laut Max Böhm sollte die Stadt mein erstes Reiseziel sein, zweimal im Jahr kamen die Störche aus Deutschland und Polen durch diese Gegend. Von hier aus konnte ich nach Belieben umherstreifen und, je nach Wagners Informationen, die Vögel aufspüren und beobachten. Zusätzlich hatte ich den Namen und die Adresse eines slowakischen Ornithologen, Joro Grybinski, der Französisch sprach: ich bewegte mich also auf bekanntem Gelände. Bratislava war eine graue und nichtssagende Großstadt mit quaderförmigen Wohnblocks, durchzogen von langen, breiten Straßen, auf denen kleine rote oder himmelblaue Autos fuhren und die Stadt in dicke schwärzliche Rauchwolken hüllten. Zudem herrschte eine erdrückende Hitze, und so war die Luft regelrecht atemberaubend. Trotzdem freute mich jeder Anblick, jedes Detail dieser neuen Umgebung - Böhms Tod, die Ängste des heutigen Morgens schienen mir bereits Lichtjahre entfernt.
    In Böhms Notizen hieß es, Joro Grybinski sei Taxifahrer am Hauptbahnhof von Bratislava. Den Bahnhof fand ich ohne Mühe, und die Skoda- und Trabant-Fahrer, die dort auf Kundschaft warteten, machten mir mit vereinten Kräften begreiflich, daß Joro seinen Arbeitstag gegen neunzehn Uhr beende. Sie rieten mir, in dem kleinen Cafe gegenüber dem Bahnhof auf ihn zu warten. Ich setzte mich also auf die Terrasse, wo ich im Gewimmel deutscher Touristen und hübscher Sekretärinnen noch einen Platz fand, bestellte einen Tee und bat den Kellner, mir Bescheid zu sagen, falls Joro auftauchen sollte. Ansonsten vertrieb ich mir die Zeit, indem ich alles genau beobachtete, was in mein Blickfeld geriet. Ich genoß den Abstand, der mich unversehens von meinem früheren Leben trennte. In Paris lebte ich in einem weiträumigen Appartement im

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