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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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hatte, seine feste Überzeugung von Anfang an, daß ein Diamantenschmuggel hinter dem Fall steckte, die Hartnäckigkeit, mit der er darauf bestand, daß ich nach Zentralafrika reiste. Hervé Dumaz kannte zwar Max Böhm und seine Geschäfte, aber er wußte nicht, wie der Schmugglerring funktionierte. Er hatte mich also ohne mein Wissen dazu benutzt, die verschwundenen Diamanten wiederzufinden und die Mechanismen des Systems aufzudecken. Ein heftiger Brechreiz würgte mich in der Kehle.
    »Sarah, ich möchte dir helfen.«
    »Ich brauch’ deine Hilfe nicht. Mein Anwalt wird mich schon rausholen.«
    Sie lachte. »Ich hab’ keine Angst vor den Belgiern, auch nicht vor den Schweizern. Wir sind die Stärkeren, Louis. Vergiß das nie.«
    Wieder trat Schweigen ein. Nach mehreren Sekunden sagte Sarah leise: »Louis, über eins haben wir nie gesprochen .«
    »Worüber?«
    Ihre Stimme war ein wenig heiser. »Die Störche ... Wie ist das bei dir zu Hause - bringen die Störche kleine Kinder?«
    Zunächst begriff ich die Frage nicht. Dann antwortete ich: »Ja ... Sarah.«
    »Weißt du, woher dieses Märchen kommt?«
    Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her und räusperte mich. Zwei Monate zuvor hatte ich mich im Zuge meiner Reisevorbereitungen auch mit dieser besonderen Frage befaßt. Ich erzählte Sarah die germanische Legende von der Göttin Holda, die sich den Storch zum Boten erkoren hatte. An feuchten Orten, in Seen oder Brunnen, bewahrte sie die Seelen der Verstorbenen auf, die mit dem Regenwasser vom Himmel herabfielen. In den Körpern kleiner Kinder ließ die Göttin sie wieder zu Fleisch und Blut werden und vom Storch zu den Eltern bringen.
    Ich erklärte auch, daß der Kinderglauben von dieser besonderen Fähigkeit des Storchs überall in Europa und im Nahen Osten verbreitet sei, selbst im Sudan stünden die orangeschnäbeligen Vögel in dem Ruf, kleine Kinder zu bringen. Aber dort verehre man den schwarzen Storch, der schwarze Babys auf den Hausdächern ablege . Ich erzählte ihr noch andere Geschichten, fügte weitere Einzelheiten hinzu, gemischt mit Magie und Zärtlichkeit. Es war ein Augenblick reiner Liebe, ebenso kurz wie unvergänglich.
    Als ich mit meinen Geschichten am Ende war, murmelte Sarah: »Uns haben die Störche nur Gewalt und Tod gebracht. Schade, ich hätte nichts dagegen gehabt.«
    »Gegen was?«
    »Kinder. Mit dir.«
    Ein Feuersturm von Gefühlen brach über mich herein und über mein Herz, und ich sprang auf und preßte meine verbrannten Hände an die gläserne Wand und schrie: »Sarah!« Aber meine wilde Frau schlug die Augen nieder und schnaubte kurz, dann stand sie jäh auf und flüsterte: »Hau ab, Louis. Schnell, hau ab.«
    Aber sie war es, die flüchtete, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wie eine moderne Eurydike lief sie davon - in eine Hölle aus himmelblauem Holz.

50
     
    »Ich möchte mit Simon Rickiel sprechen.«
    Itzhak Delter runzelte die Stirn, und seine amboßartige Kinnlade tat einen Ruck nach vorn. »Mit dem von der Interpol?«
    »Ja«, antwortete ich. »Mit ihm will ich mich unterhalten.«
    Delter ließ seine Schultern rollen, und ich hörte den Stoff seines Jacketts knistern. Wir waren im Garten des Gefängnisses von Ganshoren.
    »So war das nicht geplant«, protestierte er. »Mit mir sollen Sie reden, Antioche. Was Sie zu sagen haben, geht zuallererst mich an, ich muß beurteilen, inwieweit es für die Verteidigung meiner Mandantin von Interesse ist.«
    »Sie verstehen mich falsch, Delter. Ich habe nicht die geringste Absicht, Sie auszubooten. Mir geht es nur um eins: Sarah die Höchststrafe zu ersparen. Aber dieser Fall spielt sich auf internationaler Ebene ab, und deshalb muß meine Aussage auch von einem Mann der Interpol gehört werden, der die Situation kennt.«
    Meine letzten Worte unterstrich ich mit einem Lächeln.
    Delter verzog das Gesicht. In Wahrheit zielte meine Forderung darauf ab, jede Manipulation seinerseits zu unterbinden. Von Sarah wußte ich, daß Rickiel ziemlich gut informiert war. Störche oder nicht - die internationale Polizei hatte Max Böhm schon eine ganze Weile im Visier. In Anwesenheit des Interpol-Beamten bewegte ich mich auf bekanntem Gelände.
    Mit seiner tiefen Stimme dröhnte Delter: »Sie verarschen mich doch, Antioche! Aber das sag’ ich Ihnen: über einen Anwalt von meinem Format macht sich keiner lustig!«
    »Regen Sie sich bitte nicht auf und drohen Sie mir nicht, sondern setzen Sie sich mit Rickiel in Verbindung. Sie sollen ja

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