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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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dabeisein. Ich werde Ihnen alles sagen, Ihnen beiden.«
    Delter ging mir voraus bis zu dem steinernen Gefängnisportal. Wir stiegen in seinen Wagen und fuhren unter feinem Sprühregen durch die Brüsseler Vororte bis in die Innenstadt. Während der ganzen Fahrt sprach der Anwalt kein Wort. Endlich hielten wir vor einem riesigen schwarzen Gebäude aus dem letzten Jahrhundert, das zwischen zwei Turmuhren eingezwängt war. Hinter den hohen Fenstern brannte bereits Licht. Vor dem Tor standen bewaffnete Wachen mit kugelsicheren Westen und trotzten beherzt dem Regen.
    Wir stiegen eine breite Treppe hinauf. Im zweiten Stock bog Delter in eine Reihe endloser Gänge ein, die zwischen knarzendem Parkett und abgetretenem Teppichboden wechselten. Er bewegte sich so zielsicher, als sei er hier zu Hause. Endlich betraten wir ein kleines Zimmer, das Standardmodell eines Polizeibüros, mit schmutzigen Wänden, einer fahlen Lampe und Möbeln aus Blech, ausgestattet mit Schreibmaschinen aus der Vorkriegszeit. Delter sprach ein paar Minuten mit zwei Männern, die beinahe ebensolche Kolosse waren wie er; sie waren in Hemdsärmeln und trugen beide eine 38er Magnum unter der Achsel. Ich fragte mich, was für eine Weste einer tragen mußte, um eine derart gewaltige Kanone zu tarnen.
    Die Männer warfen mir griesgrämige Blicke zu. Einer kam hinter seinem Schreibtisch hervor und stellte die üblichen Fragen: Name, Vorname, Geburtsdatum, Familienstand . Danach wollte er mir die Fingerabdrücke abnehmen. Aus reiner Provokationslust hielt ich ihm meine rosigen, blanken und anonymen Handflächen vor die Nase. Der Anblick erschütterte ihn. Er stammelte eine Entschuldigung und entschwand in ein anderes Büro. Unterdessen war auch Itzhak Delter verschwunden. Endlos lang saß ich herum. Niemand geruhte mir zu erklären, worauf ich eigentlich wartete, und so blieb ich sitzen und hatte Zeit, über meine Versäumnisse nachzugrübeln und mir Vorwürfe zu machen. Die Begegnung mit Sarah hatte mich aufgewühlt.
    Meine Fehler - und ihre Konsequenzen - gingen mir im Kopf herum, ohne daß ich irgendein Argument zu meiner Verteidigung vorbringen konnte. Verbrechen, ob man sie begeht oder dagegen ankämpft, sind eine Beschäftigung, die Intuition und Erfahrung voraussetzt - es reicht nicht, ein selbstmörderischer Draufgänger zu sein, um Erfolg zu haben.
    Endlich kehrte Delter zurück. Er kam in Begleitung einer sonderbaren Person, eines zerknittert wirkenden kleinen Mannes, dessen obere Gesichtshälfte hinter riesigen runden und fingerdicken Brillengläsern erstarrt war. Seine schmächtige Gestalt versank in einem Fernfahrerpullover mit Reißverschluß und einer schweren, viel zu weiten Cordsamthose. Die Krönung war sein Schuhwerk: er trug ein Paar gewaltiger Sportschuhe, wahre Kindersärge, blitzweiß, mit dicken Sohlen und hohen Laschen - das Rüstzeug eines Rappers. Am Gürtel schließlich, halb verborgen zwischen den Falten des Pullovers, hing eine Selbstladepistole: ich erkannte eine Glock 17, Modell 9 Millimeter Parabellum - die exakte Kopie von Sarahs Waffe.
    Delter beugte sich ein wenig herab und stellte uns vor: »Das ist Simon Rickiel von der Interpol. In Ihrem Fall der beste Ansprechpartner, Louis.« Dann wandte er sich an den kleinen Mann und sprach: »Simon, ich stelle Ihnen Louis Antioche vor, den Zeugen.«
    Die Tatsache, daß Delter mich beim Vornamen genannt hatte, zeigte mir, daß er sich entschlossen hatte, mitzuspielen. Ich stand auf und verbeugte mich, die Hände auf dem Rücken. Rickiel bedachte mich mit einem flüchtigen Lächeln. Sein Gesicht war in der Tat zweigeteilt: während die Lippen sich bewegten, blieb die verglaste obere Hälfte völlig starr. Einen Beamten der Interpol hatte ich mir wahrlich anders vorgestellt.
    »Folgen Sie mir«, sagte der Österreicher.
    Sein Büro unterschied sich sehr von den übrigen Räumen. Die Wände waren makellos weiß, das Parkett dunkel und glänzend. In der Mitte des Raums thronte ein breiter Holzschreibtisch, bestückt mit einem Computer der neuesten Generation nebst Zubehör und mit zwei Bildschirmen: auf dem einen erkannte ich, daß er mit der Agentur Reuter verbunden war und in Echtzeit sämtliche aktuellen Nachrichten aus aller Welt bezog; der zweite verbreitete andere Informationen, wahrscheinlich betriebsinterne Daten der Interpol.
    »Setzen Sie sich«, befahl Rickiel, während er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm.
    Ich zog mir einen Stuhl heran; Delter setzte sich ein wenig

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