Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
zum Angriff, und ich sah den blutüberströmten Sikoff, der mir giftige Blicke zuwarf. Überall auf den Dächern rannten die Frauen schreiend zwischen aufgehängten Tüchern hin und her. Jetzt eilten auch die alarmierten israelischen Soldaten herbei, luden ihre Gewehre mit Tränengaspatronen und gingen am Rand der Terrassen schußbereit in Stellung.
    Auf einmal öffnete sich ein kleiner Platz. Ich riß den Wagen herum, der sich um die eigene Achse drehte, die Bodenplatte schabte knirschend über die Erde, während ein Steinhagel auf die Karosserie niederprasselte und sämtliche Fensterscheiben zu Bruch gingen. Sikoff überholte mich und schnitt mir den Weg ab. Ich sah noch, wie er sein Maschinengewehr auf mich richtete, und warf mich auf den Beifahrersitz, dann hörte ich die dumpfen Einschläge der MG-Salve in der Wagentür, und im selben Moment ertönte das Pfeifen der Tränengasbomben. Ich sah auf und starrte in den Gewehrlauf des Bulgaren. Ich suchte nach der Glock, die bei dem Wendemanöver zu Boden gerutscht war - zu spät. Aber Sikoff blieb keine Zeit, um abzudrücken: während er noch auf mich zielte, traf ihn ein Stein im Nacken. Er stieß einen Schrei aus, krümmte sich und verschwand. Unterdessen breiteten sich die Gaswolken aus, vernebelten jegliche Sicht und brannten wie Feuer in der Kehle. Ringsum tobte ein Höllenlärm.
    Ich fand schließlich meine Pistole, ließ mich aus dem Wagen fallen und kroch durch den Staub. Das Gas zischte, Frauen schrien, Männer stürmten herbei. Von allen vier Ecken des Platzes warfen die Krieger der Intifada unaufhörlich mit Steinen, aber sie zielten nicht mehr auf unsere beiden Wagen, sondern nur noch auf die Soldaten, die in Massen herbeiströmten. Jeeps bremsten mit quietschenden Reifen, grüngekleidete Männer mit Gasmasken sprangen heraus. Manche Gewehre spieen das weißliche Reizgift aus, andere waren mit Kautschukprojektilen geladen, wieder andere schossen zielgenau - mit echten Kugeln auf echte Kinder. Der Platz ähnelte einem ausbrechenden Vulkan. Mir brannten die Augen und die Kehle, ich rang nach Luft, das Stampfen der Schritte und der Lärm der Geschütze ließen den Boden erbeben. Doch auf einmal stieg aus der Tiefe der Erde eine Welle empor wie ein Donnergrollen, gewaltig, schwer und großartig. Eine Flut aus menschlichen Stimmen, die aufbrandete und sich ausbreitete, und ich sah die Palästinenser aufrecht auf den Mauern stehen, Kinder und Jugendliche, und sie sangen die Hymne ihrer Revolte, die Finger gespreizt zum Siegeszeichen.
    Und gleich darauf sah ich vor mir die eisenbeschlagenen Stiefel von Sikoff, der durch den dichten Rauch floh. Ich stand auf und rannte ihm nach, durch verwinkelte, enge Gassen, immer seiner Spur hinterher - das Schwein verlor Blut, das sofort im Sand versickerte. Nach ein paar Sekunden entdeckte ich ihn. Im Laufen lud ich meine Pistole durch. Wir rannten noch immer weißgekalkte Mauern entlang, beide nicht sehr schnell, denn wir hatten die Lungen voller Gas. Sikoffs Regenmantel war nur noch wenige Schritte von mir entfernt, und ich wollte ihn packen, als er sich, durch irgendeinen Reflex gewarnt, umdrehte und eine 44er Magnum auf mich richtete.
    Er drückte ab, das Mündungsfeuer nahm mir kurzfristig die Sicht, aber er hatte mich nicht getroffen. Ich trat mit dem Fuß in seine Richtung, Sikoff wich gegen eine Mauer zurück und zielte erneut. Ich hörte die Detonation. Dann schloß ich die Augen und feuerte alle sechzehn Kugeln des Magazins ab. Ein paar Sekunden der Ewigkeit, schwebend in der Luft. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich, daß Sikoffs Schädel nur noch ein klaffender Abgrund aus Blut und faseriger Masse war. Aus Fleischkratern mit geschwärzten Rändern schossen kleine scharlachrote Fontänen. In der Hausmauer, die von Gehirnspritzern und Knochensplittern übersät war, gähnte ein Loch von mindestens einem Meter Durchmesser. Mechanisch steckte ich die Waffe wieder ein. In der Ferne erklang noch immer der Gesang der palästinensischen Kinder, die den israelischen Gewehren trotzten.

25
     
    Zwei israelische Soldaten fanden mich auf dem kleinen Platz. Aus meinem Gesicht troff das Blut, und ich war nicht mehr ganz bei Sinnen - ich hätte nicht zu sagen gewußt, wo ich mich eigentlich befand, noch was ich hier tat. Sofort nahmen mich die Sanitäter mit, während ich nur daran dachte, meine Waffe unter der Jacke fest an mich zu drücken. Ein paar Minuten später hing ich am Tropf und lag in einem überhitzten Zelt

Weitere Kostenlose Bücher