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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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das Herz bis zum Hals. »Wer ist das?« fragte ich. »Mein Vater.« Gabriel senkte die Stimme. »Mein Vater war Böhms Führer.«
    »Wann kann ich ihn sehen?«
    »Er kommt morgen früh nach Bangui.«
    »Kann er gleich ins Novotel kommen? Ich warte auf ihn.«

31
     
    Auf der schattigen Hotelterrasse, im Schutz tropischer Pflanzen, aß ich an einem der Tische rings um das Schwimmbecken zu Mittag; es gab eine Auswahl verschiedener Flußfische. Das Novotel war anscheinend kaum besetzt, die wenigen Gäste, die hier logierten, waren europäische Geschäftsleute, die im Eiltempo ihre Verträge aushandelten und nur eins im Sinn hatten: so schnell wie möglich wieder heimzufliegen. Ich hingegen genoß das Hotel. Diese breite Terrasse mit ihren hellen Steinfliesen voller Laub hatte die Melancholie verlassener Kolonialhäuser, in denen die üppige Vegetation Ströme aus Lianen, Seen aus Gestrüpp und Unkraut wuchern läßt.
    Während ich meinen Fisch verzehrte, beobachtete ich den Hoteldirektor, der den Gärtner zusammenstauchte. Er war ein junger Franzose, grünlich im Gesicht und sichtlich am Rand des Nervenzusammenbruchs. Er versuchte einen Rosensetzling großzuziehen, und der einheimische Gärtner hatte ihn aus Versehen zertreten. Ohne die dazugehörigen Dialoge grenzte die Szene ans Parodistische. Der Grimm des Weißen, seine übertriebenen Gesten, dazu die zerknirschte Miene des Schwarzen, der mit abwesendem Ausdruck den Kopf schüttelte: das alles erinnerte mich sehr an einen Auftritt zweier Stummfilmkomiker.
    Unmittelbar danach trat der Direktor an meinen Tisch, um mich willkommen zu heißen und gleichzeitig den obskuren Grund zu erfahren, der mich nach Zentralafrika geführt hatte; mit auffälliger Neugier musterte er die frische Narbe in meinem Gesicht. Ich berichtete ihm von meiner geplanten Reportage, woraufhin er mir seine Geschichte erzählte. Er habe sich freiwillig als Leiter der Novotels von Bangui gemeldet - das sei ein wichtiger Schritt in seiner Karriere, sagte er und schien damit andeuten zu wollen, daß man sich vor gar nichts mehr fürchte, wenn man es geschafft habe, in diesem Land etwas zu leiten. Dann stimmte er ein langes Klagelied über die Unfähigkeit der Afrikaner an, ihre Sorglosigkeit und ihre unzähligen Fehler. »Ich muß alles absperren«, erklärte er und schüttelte den schweren Schlüsselbund an seinem Gürtel. »Trauen Sie nicht ihrem zivilisierten Aussehen - es ist die Frucht eines endlosen Kampfes!« (Der >Kampf< des Geschäftsführers bestand darin, daß er seinen Untergebenen ein kurzärmeliges rosafarbenes Hemd nebst Fliege aufzwang, das sämtliche Kellner zur Schau trugen wie einen guten Witz.) »Nach Dienstschluß kehren sie barfuß in ihre Hütten zurück und schlafen auf der Erde!«
    Der Geschäftsführer hatte dieselben verkrampften Gesichtszüge wie Bonafe: es war der Ausdruck einer Abnutzung, eines merkwürdigen, ätzenden Verschleißes - als wäre im Inneren des Körpers eine Wurzel gewachsen, die sich von Menschenblut ernährte. »Übrigens«, schloß er seinen Vortrag, wobei er die Stimme vertraulich senkte, »haben Sie hoffentlich nicht zu viele Eidechsen in Ihrem Zimmer?« Ich verneinte und verfiel in Schweigen, woraufhin er sich empfahl.
    Nach dem Essen beschloß ich, mir die Literatur über Diamanten und Herzchirurgie vorzunehmen, die ich mir in Paris zusammengesucht hatte. Die Ausführungen über die Steine - Extraktionsmethoden, Klassifikation, Qualitätsmerkmale und so weiter - überflog ich rasch; ich wußte inzwischen genug über Böhms Netzwerk und die wichtigsten Glieder der Kette und konnte aus den technischen Informationen und Expertenkommentaren nicht mehr viel Neues erfahren, was mir hilfreich gewesen wäre.
    Deshalb ging ich zur Herzchirurgie über; meine Unterlagen bestanden aus Kopien von Artikeln verschiedener medizinischer Nachschlagewerke. Ich vertiefte mich in die Geschichte der Herzchirurgie, ein wahres Epos, geschrieben von kühnen Pionieren.
    >Den eigentlichen Grundstein der Herzchirurgie legte Charles Bailey in Philadelphia, der Ende 1947 seine erste operative Korrektur einer Mitralinsuffizienz (eines Herzklappenfehlers) durchführte. Die Operation mißlang, der Patient starb an einer Hämorrhagie. Dennoch gewann Bailey die Gewißheit, daß er auf dem rechten Weg war. Seine Kollegen hingegen fielen über ihn her und beschimpften ihn als Verrückten und Schlächter. Bailey übte sich in Geduld und dachte nach. Im März 1948 nahm er im Wilmington

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