Der Flug der Stoerche
verabreichen, um die Abstoßungsreaktion so weit wie möglich abzuschwächen. Die üblichen Immunsuppressiva (Kortikosteroide, Zytostatika und ähnliche) sind meist unspezifisch und daher durch zahlreiche Nebenwirkungen belastet, insbesondere das Risiko von Infektionen. In den achtziger Jahren kam ein neues Medikament auf: Cyclosporin. Diese Substanz, gewonnen aus japanischen Pilzen, blockiert die Ausbreitung der antigenspezifischen T-Lymphozyten und vermag damit die Abstoßungsreaktion sehr weitgehend einzuschränken. Die Lebenserwartung der Patienten steigt damit um das Zehnfache, Transplantationen lassen sich daher leichter durchführen. Eine zweite Methode, die Abstoßungsreaktion gering zu halten, besteht in der Gewebetypisierung im Hinblick auf die Auswahl möglichst günstiger Spender-Empfänger-Kombinationen. Die beste Lösung ist ein Spender unter den Geschwistern oder nächsten Verwandten, der zwar nicht genetisch identisch ist, aber mit dem Empfänger wenigstens vier Histokompatibilitätsantigene (auch Transplantationsantigene genannt) gemeinsam hat, so daß also nach dem HLA-System (dem bedeutsamsten Histokompatibilitätssystem neben den ABNull-Blutgruppen) eine Vereinbarkeit der Gewebe vorliegt. Dies gilt für nicht lebenswichtige Organe wie zum Beispiel die Nieren. Lebenswichtige Organe werden von Leichen gewonnen, wobei man versucht, mittels Organaustausch über weite Entfernungen hinweg die bestmögliche Kombination zu finden - wobei eine ungeheuer große Anzahl verschiedener HLA-Phänotypen existiert .<
Ich legte meine Lektüre beiseite. Es war sechs Uhr abends, draußen war es bereits Nacht. Ich stand auf und öffnete die Glastür meines Zimmers; unter dem hereindringenden Schwall feuchter Hitze rang ich nach Luft. Die Tropenhitze erlebte ich nicht zum ersten Mal. Dieses Klima ist keine Nebensächlichkeit, kein Begleitumstand unter vielen, sondern eine Gewalt, die einen fast erschlägt, ein Gewicht, das Körper und Seele in eine kaum zu beschreibende Tiefe hinabzieht - das ganze Wesen weicht auf, Muskeln und Organe scheinen dahinzuschmelzen und sich in ihrem eigenen Saft langsam aufzulösen.
Dennoch beschloß ich, mein klimatisiertes Zimmer zu verlassen und einen nächtlichen Spaziergang zu unternehmen.
Die langgezogenen Straßen von Bangui waren menschenleer, und die wenigen Wohnhäuser, schwerfällig und lehmverputzt, schienen noch nackter als bei Tageslicht. Ich ging zum Fluß hinunter, an dessen Ufer es dunkel und still war. Die Ministerien und Botschaften schliefen einen traumlosen Schlaf, davor standen barfüßige Soldaten Wache. In der Dunkelheit nahe am Wasser erkannte ich die zerzausten Wipfel der Bäume, die zu beiden Seiten des Flusses standen. Manchmal hörte ich unter mir ein Plätschern und stellte mir irgendein riesenhaftes Tier vor, eine Kreuzung aus Raubkatze und Fisch, die durch das feuchte Gras schlich, angelockt von den Gerüchen und Geräuschen der Stadt.
Ich ging weiter. Seit meiner Ankunft in Bangui ging mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf. In den ersten Jahren meines Lebens war dieses wilde Land >mein Land< gewesen. Eine Urwaldinsel, in der ich aufgewachsen war, gespielt, Lesen und Schreiben gelernt hatte. Warum hatten meine Eltern sich in der abgelegensten Gegend von ganz Afrika verkrochen? Warum hatten sie alles aufgegeben, Reichtum, Bequemlichkeit, Ausgewogenheit, um in diesem unwirtlichen Wald ihr Leben zu beenden?
Ich dachte nie an meine Vergangenheit, an meine toten Eltern und die blinden Flecken in meinem Dasein. Meine Familie interessierte mich nicht. Weder die Berufung meines Vaters noch die Hingabe meiner Mutter, die alles aufgegeben hatte, um ihrem Gatten zu folgen, nicht einmal dieser zwei Jahre ältere Bruder, der bei lebendigem Leib verbrannt war. Natürlich war diese Gleichgültigkeit eine Form der Verdrängung, und ich verglich sie oft mit der Empfindungslosigkeit meiner Hände: über die ganze Länge der Arme hinweg
reagierte meine Haut tadellos, jenseits des Handgelenks aber hatte ich keine präzisen Empfindungen mehr - als trennte eine unsichtbare Holzschranke meine Hände von jeglichem Gespür ab. Und mein Gedächtnis wies dasselbe Phänomen auf: bis zu meinem siebten Lebensjahr konnte ich meine Erinnerungen ohne weiteres zurückverfolgen, aber davor war nur ein schwarzes Loch, Leere, Tod. Meine Hände waren verbrannt. Meine Seele ebenfalls. Und die Narben an Körper und Geist waren auf dieselbe Weise gewachsen - auf einem Grund aus Vergessen und
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