Der Flug des Falken
die braunen Augen lächelten. Tara Campbell, die Erfahrung darin hatte, in Gesichtern zu lesen, erschien das Lächeln eine ehrliche Freude auszudrücken.
Sie fragte sich, was diesem Mann in der harten, gewalttätigen Welt der Clans solche Freude bereiten konnte.
»Der ist gefährlicher?«, brach es aus Tara Bishop heraus. »Er sieht aus wie der große Bruder, den sich jedes Mädchen wünschen würde. Na gut, vielleicht nicht als Bruder, mit einem solchen Aussehen...«
Senna schmunzelte. »Interessant, dass Sie gerade das sagen, Kapitänin. Diese beiden sind nämlich eine Seltenheit: Kogeschwister - Kobruder und Koschwester -, die beide einen Blutnamen errungen haben. Seit Aidan und Marthe Pryde die Ersten im Clan Jadefalke, von denen wir wissen. Und wir Seefüchse wissen alles. Jedes Wort der Erinnerung sämtlicher Clans, den Inhalt von Aufzeichnungen anderer Clans, von denen sie nicht einmal selbst etwas wissen. Das ist doch letztlich unser Geschäft: Information.« Sie deutete auf das Hologramm. »Galaxiscommander Aleksandr Hazen. Er ist Malvina Hazens Kobruder. Geschwister väterlicherseits in Ihren Begriffen. Insbesondere da sie die Einzigen ihrer Geschwisterkompanie sind, die lange genug überlebt haben, um Krieger zu werden.«
»Wie funktioniert denn das genetisch?«, fragte sich Präfektin Delia Brown laut.
»Rezessive Gene für helle Haut, blonde Haare und helle Augen«, antwortete die Händlerin. »Geschkin-der können sich vom Aussehen her noch stärker unterscheiden. Diese beiden sind ein Paar. Es gibt sogar Gerüchte einer emotionalen Bindung.«
Ballantrae schaute sie mit verkniffenen Augen an. »Und das heißt was?«
»Es heißt, sie sind bereits seit Langem ein Liebespaar.«
»Das ist widernatürlich!«, stieß Ballantrae aus.
»Sicher ist es das«, bestätigte die Seefüchsin freundlich. »In unserer Clangesellschaft entspricht nichts der Natur, am allerwenigsten unsere Fortpflanzung. Obwohl wir eine große Zuneigung zur Natur vorgeben, manipulieren wir sie, wo immer sie in irgendeinem Zusammenhang mit unserem Leben steht. Das ist ein weiterer Grund, warum wir uns so gut mit den Draconiern verstehen.«
Tara Campbell beugte sich vor. »Und er ist eine größere Bedrohung für uns als der blutdürstige blonde Vampir? Er muss ein sehr glücklicher Irrer sein.«
»Ausnahmsweise ist Ihr Urteil falsch, Tara Campbell«, erwiderte die Händlermeisterin. »Aleks Hazen ist durch und durch vernünftig, wenn er auch nach Clanbegriffen noch seltsamer ist als Malvina. Ebenso wie noch kein Gegner einen Zweikampf mit Malvina überlebt hat, hat auch noch nie einer im Zweikampf gegen ihn das Leben verloren. Er ist berühmt - bei manchen sogar berüchtigt - für seine Gnade und sein Mitgefühl.«
»Wie schafft er es, in einer derart blutrünstigen Bande noch den Kopf auf den Schultern zu tragen?«, wollte Ballantrae wissen.
»Niemand schafft es, sie voneinander zu trennen, Oberst. Er hat mit bloßen Händen gegen Elementare gekämpft und gesiegt. Als MechKrieger gibt es nur einen einzigen Gegner, der ihm gewachsen ist: Malvina, von der es heißt, dass er sie noch nie besiegt hat. Als Feldkommandeur allerdings ist er ihr möglicherweise überlegen.«
»Sie sagen, er stellt die größte Gefahr für uns dar?«, fragte Tara Bishop nach. »Wie denn das, wenn ihm Massenmord nicht liegt?«
»Genau deshalb, junge Kapitänin. Erklären Sie es ihr, Countess. Lassen Sie sie von Ihrem Wissen profitieren. Es kann noch was aus ihr werden, aber bis jetzt fehlt es weiter an der nötigen Einsicht.«
»Malvinas Methoden schüren Wut und Hass«, sagte Tara langsam, während ihre Adjutantin die Händlermeisterin anstarrte, als wollte sie Senna mit ihren Blicken in Brand stecken. »Sie treiben die Überlebenden zur Rache. Ein ritterlicher Gegner wie Aleks bietet selbst denen, die er unterwirft, wenig Angriffsfläche für Hass.«
Die Händlerin nickte. Dann lachte sie.
»Zu Ihrem Glück ist er völlig aus der Art geschlagen. Die Kreuzritter haben die erste Invasion deshalb so katastrophal vergeigt, weil sie keine Geschichte hatten. Die Gründer versuchten, ganz von vorne anzufangen, den neuen Kerensky-Menschen zu erschaffen. Und deshalb haben die Kreuzritter verloren: weil sie keine Ahnung von menschlicher Interaktion hatten, außer nach den Regeln der speziellen Gewächshausbedingungen bei uns Clans. Dadurch war ihnen jede Strategie fremd. Aber Aleks Hazen kennt sich in der Geschichte aus.«
Sie trank noch einen Schluck
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