Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
Charmaine über die teuren Stoffe, doch als Maddy Thompson die Ballen ins Regal räumen wollte, besann sie sich. »Wenn ich es recht überlege … ich nehme den karierten Taft und den blauen Musselin.«
»Das wird aber nicht ganz billig.«
»Das ist mir klar«, murmelte Charmaine.
Ein wenig später trat sie mit ihrem Päckchen aus der Tür. Obwohl sie fast ihr ganzes Geld ausgegeben hatte, stand sie zu ihrem Entschluss. In vier Tagen hatten die Mädchen Geburtstag. Es war der erste Geburtstag ohne ihre Mutter, und den wollte Charmaine so fröhlich gestalten, wie sie vor neun Monaten den ihren gefeiert hatten. Sie seufzte. Der Gedanke an Colette ließ den Verlust plötzlich doppelt schmerzlich erscheinen. Um nicht melancholisch zu werden, dachte sie an die Mädchen. Als Liebesbeweis würde sie die nächsten Nächte mit Nähen verbringen.
Sie blinzelte in die Sonne und machte sich auf den Weg zum Mietstall. George saß noch immer auf den Planken des Gehwegs und spielte mit Pierre, während die Zwillinge auf den Fässern neben ihm herumkletterten. Charmaine packte das kleine Paket fester und bahnte sich einen Weg zwischen den vielen Spaziergängern hindurch.
»Haben Sie alles bekommen?«, fragte George.
»O ja, und ich danke Ihnen, dass Sie inzwischen die Kinder gehütet haben.«
»Es war mir eine Freude.« Er stand auf und nahm Pierre auf den Arm. »Es ist doch eine gute Sache, dass der Laden auch am Sonntag geöffnet hat, nicht wahr?«
Charmaine sparte sich die Antwort. Das Thema wurde auf der Insel eifrig diskutiert. Sie selbst hielt nichts von Besorgungen am Sonntag, aber heute machte sie eine Ausnahme, weil George ihr seine Dienste als Kindermädchen angeboten hatte. Haltet den Tag des Herrn heilig . Charmaine achtete dieses Gebot und war damit die große Ausnahme unter den Kirchgängern, die jeden Sonntag nach der Messe Father Benitos Drohungen der ewigen Verdammnis in den Wind schlugen und ihre Läden öffneten.
»Möchten Sie zum Haus zurück?«, fragte George. »Oder wollen Sie lieber Stephen Westphal besuchen?«
Sein Scherz entlockte ihr ein Kichern. »Ich fürchte, wir müssen zurück, sonst kommen wir zu spät zum Dinner.«
»Noch nicht«, protestierte Yvette, »wir haben doch Gummy noch nicht gesehen.«
»Wen?«
»Gummy Hoffstreicher. Erinnern Sie sich – der Junge, der George und Johnny immer die Sandwiches geklaut hat? Er kommt jeden Tag hier vorbei.«
»Aber, Yvette«, tadelte Charmaine. »Dieser Gummy ist doch ein Mensch und keine Sehenswürdigkeit! Wenn du ihn triffst, behandelst du ihn hoffentlich wie einen Menschen.«
Yvette verdrehte die Augen, was George zum Einlenken veranlasste. »Es tut mir leid, Charmaine, aber das Ganze war nur ein Scherz.«
»Das weiß ich, George, und ich mache auch nicht Sie dafür verantwortlich …«
Rufe aus Richtung des Hafens schnitten ihr das Wort ab, und um sie herum drängten die Menschen plötzlich zum Kai. »Was ist los?«
»Offenbar kommt ein Schiff.« George beschattete seine Augen, um besser sehen zu können.
Charmaine tat es ihm nach und konzentrierte ihren Blick auf einen weißen Fleck am äußersten Ende der Bucht. Dabei wurden sie von der Menge weiter zum Kai geschoben.
»Siehst du etwas?« Aufgeregt zupfte Yvette George am Ärmel. »Woher kommt das Schiff? Kannst du die Flagge erkennen? Ist es unseres?«
»Ja«, rief George. »Es müsste eigentlich die Gemini sein. Die Raven erwarten wir erst nächste Woche. Vermutlich ist Paul an Bord.«
»Na wunderbar«, brummte Yvette missmutig.
Die Bemerkung konnte Charmaines Freude nicht trüben. Sie sah zu, wie das Schiff immer größer wurde und die weißen Masten vor ihr emporwuchsen. Endlich würde alles in Ordnung kommen.
Zehn Minuten später legte das Schiff unter Ächzen längsseits am Kai an. Voller Bewunderung sah Charmaine zu, wie Paul die Mannschaft befehligte und wie damals, vor einem Jahr, beim Vertäuen des Schiffes half. Heute sah er womöglich noch besser aus, dachte sie, und dabei klopfte ihr Herz so heftig, dass sie die Augen abwenden musste.
Paul streifte sich das Hemd über, das er während der Arbeit abgelegt hatte, und überließ den Matrosen die letzten Handgriffe. Al s er über die Planken von Bord eilte, erspähte er zu seiner Überraschung das Begrüßungskomitee – vor allem Charmaine, deren Schönheit ihm schmerzvoll bewusst machte, wie sehr er auf Espoir die Gesellschaft einer Frau vermisst hatte. Als er auf sie zueilte, trafen sich ihre Blicke. War das Lust ,
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