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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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plötzlich losließ.
    »Genauso köstlich, wie ich es mir vorgestellt habe«, murmelte er.
    Dieses Gefühl wurde jedoch nicht erwidert. Charmaine holte aus, aber trotz ihrer Schnelligkeit fing John ihr Handgelenk ein zweites Mal. »Sie wollen mich doch wohl nicht schlagen, my charm ? Am Vorabend meines Geburtstags ist das nicht gerade nett!«
    Charmaine riss sich los und funkelte ihn trotzig an. »Tun Sie das nie wieder!«
    »Wollen Sie sich etwa für Paul aufbewahren?«
    »Wenn Sie so wollen.« Sie rieb ihre Handgelenke und wischte sich mit dem Unterarm über die Lippen. John grinste über das ganze Gesicht, doch sie biss die Zähne zusammen und rannte zur Tür.
    »Wohin so eilig, my charm ?«
    »Ich muss nach den Kindern sehen. Sie haben mich von meinen Pflichten abgehalten.«
    »Von welchen Pflichten? Es gibt keine Pflichten.«
    Sie blieb stehen und sah misstrauisch über die Schulter zurück. »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Es gibt keine Pflichten«, wiederholte er. »Die Sache mit Pierre war nur eine kleine List.«
    »Eine List?«
    »Eine List, um Sie aus den Klauen meines zornigen Bruders zu retten.«
    »Damit ich in Ihre Klauen falle?«
    »Brillant beobachtet, my charm «, bemerkte er. »Aber war es die Sache denn nicht wert? Jetzt können Sie besser vergleichen.«
    Nach einer kurzen Phase der Ruhe setzte der Sturm von Neuem mit voller Wucht ein. Nachdem Charmaine die Kinder ins Bett gesteckt hatte, blieb sie noch bei ihnen sitzen. Doch als keine Ruhe einkehrte, ging sie in ihr Zimmer hinüber und nahm den kleinen Pierre mit. Auf Bitten der Mädchen ließ sie die Verbindungstür offen, woraufhin das Geflüster nebenan allmählich verstummte.
    Pierre schlief augenblicklich ein, aber Charmaine war in Morpheus’ Armen noch lange nicht willkommen. Das Haus ächzte und stöhnte unter den heftigen Windböen. Und sie konnte John nicht aus dem Kopf bekommen, so sehr sie sich auch bemühte: seinen Hohn, seine seltsame Anziehungskraft, seinen Kuss! Ihr Puls beschleunigte sich, als sie an die Berührung seines Körpers dachte, an die Zärtlichkeit seiner Lippen, die ihr nicht unangenehm gewesen war. Doch sie hatte ihn nicht merken lassen, wie sehr er sie beeindruckt hatte. Zumindest konnte er nicht behaupten, dass sie es genossen hätte.
    Sie machte sich Vorwürfe, dass sie überhaupt versucht hatte, seine Seele zu ergründen und zu begreifen, was ihn bewegte. Sie dachte an seinen Streit mit Paul. Ob er Tag und Nacht darauf sann, wie er seinen Gegnern eine Falle stellen konnte? Allerdings kannte sie auch andere Seiten an ihm, und sie kannte niemanden, der alle Gefühle von Hass bis Liebe in sich vereinte.
    In diesem Haus darf mein Geburtstag nicht gefeiert werden … Hatte Frederic seinen Sohn wirklich von sich gestoßen? Was war damals geschehen? Was war den Brüdern widerfahren? Sie standen einander früher sehr nahe … wirklich sehr nahe … Und wie passte Colette in dieses Bild? Mistress Colette war ganz anders als die Frau, die Sie gekannt haben … Sie hätte niemals Mrs. Duvoisin werden dürfen …
    Ja, Johns Hass existierte und äußerte sich in Zynismus und Bitterkeit. Aber genauso war er auch zur Liebe fähig. Heute Morgen hatte sie ihm die Fähigkeit noch abgesprochen, doch inzwischen war ihre Überzeugung ins Wanken geraten. John liebte seine kleinen Geschwister. Sie brauchen jemanden, der sie liebt . Diese Worte hatte er in vollem Ernst gesagt.
    Sie schlang ihren Arm um Pierre.
    John wurde die Liebe vorenthalten, und doch ließ er seine Geschwister nicht dafür büßen. Im Gegenteil. Er hatte sich große Mühe gegeben, um ihnen einen außergewöhnlich schönen Tag zu bereiten, hatte sich die Schatzsuche, die Ponys und auch den Ausflug ausgedacht und ihnen seine ungeteilte Aufmerksamkeit gewidmet. Kein Wunder, dass sie John so sehr liebten.
    Keinesfalls durfte sein Geburtstag mit diesem einen Stück Kuchen erledigt sein. Die Kinder sollten ihm etwas von ihrer Freude zurückgeben … sollten ihm zeigen, wie sehr sie ihn liebten . Rasch fasste Charmaine einen Plan und schmiegte sich dann zufrieden an Pierre.
    Die Uhr schlug elf, als John vom Schreibtisch aufstand, wo er die Berichte von Stuart Simons, seinem Geschäftsführer in Virginia, durchgesehen hatte. In der Halle traf er mit einem finster dreinschauenden Paul zusammen. »Nach dir«, lud er ihn am Fuß der Treppe mit einer Handbewegung ein. Als Paul ein paar Stufen hinaufgestiegen war, hielt er ihn auf. »Du hast im Arbeitszimmer etwas verloren.«

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