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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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enttäuscht, dass er den Kandelaber löschte und eine Kerze entzündete, aber klugerweise hielt sie den Mund. Als er ihren Arm nahm, wollte sie etwas sagen, doch er legte den Finger auf die Lippen. »Sagen Sie nichts, my charm . Worte würden den wunderbaren Augenblick nur zerstören.«
    Sie durchquerten die große Halle und stiegen die Treppe empor, was Charmaine wie eine Ewigkeit vorkam.
    »Ist Ihnen kalt?«, fragte er, als sie den Morgenmantel enger um sich raffte. »Keine Angst. Unter Ihrer Decke wird Ihnen gleich warm werden.«
    Offenbar hatte er nicht die Absicht, sie dorthin zu begleiten. Aber sie misstraute sich selbst und sah bang zu ihm empor, als sie vor ihrer Tür ankamen. Mit einem Blick voll ungewohnter Wärme und Herzlichkeit beugte er sich nach vorn und drückte ihr einen väterlichen Kuss auf die Stirn. »Danke«, sagte er leise und strich sanft eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.
    »Danke wofür?«
    »Für diese Augenblicke – für diesen Abend. Er hat zwar nicht die Lösung gebracht, die ich zu Beginn dieses Tages angestrebt habe, aber ich kann mit ihr leben. Sie haben mir heute etwas sehr Wertvolles geschenkt, was ich allein nicht erlangt hätte.«
    Sie war neugierig. »Und was soll das sein?«
    »Sie haben mir Hoffnung geschenkt – Hoffnung auf die Zukunft. Ich lasse mich jetzt mit der Strömung treiben und arbeite nicht mehr dagegen an. Und dann … eines Tages wird sich alles fügen. Gute Nacht, my charm .«
    Mit diesen Worten ging er davon, und Charmaine sah ihm nach, bis sich seine Tür hinter ihm schloss. Im Gegensatz zu ihm würde sie bestimmt keinen Schlaf finden. Mit einem tiefen Seufzer betrat sie ihr Zimmer. Doch kaum dass sie unter die Decke geschlüpft war, ging ihr wieder die Melodie durch den Kopf, und sie fühlte sich in Johns Armen wie in einem Kokon der Zufriedenheit geborgen.
    Dienstag, 3. Oktober 1837
     
    Charmaine stöhnte nur und hätte sich am liebsten vor ihren Pflichten gedrückt, doch angesichts des Tageslichts und des energischen Klopfens an der Tür musste sie wohl oder übel die Augen öffnen. »Herein.« Sie rappelte sich hoch und griff nach ihrem Morgenmantel.
    Zu ihrer Überraschung marschierte Mrs. Faraday mit einem Stapel frischer Wäsche ins Zimmer. Verschlafen sah sie zu, wie die Haushälterin die Lampe löschte, die Vorhänge aufzog und sich dann stumm dem Bett zuwandte.
    »Bemühen Sie sich nicht, Mrs. Faraday. Wie ich schon mehrmals gesagt habe, bin ich durchaus in der Lage, mein Bett selbst zu machen.«
    »Das mag sein«, entgegnete die Haushälterin in scharfem Ton, »aber ich habe es eilig. Heute ist Waschtag, und ich muss die Wäsche wechseln.«
    »Auch das kann ich selbst tun.«
    »Dann hätten Sie es längst erledigen können, Miss Ryan. Nur weil Sie ausschlafen müssen, lasse ich mir meinen Stundenplan nicht durcheinanderbringen.«
    Charmaine runzelte die Stirn. »Wie spät ist es denn?«
    »Fast elf Uhr.«
    »Aber das ist unmöglich! Die Kinder hätten mich doch geweckt.«
    »Das hätten sie sicher getan, wenn Master John sie nicht daran gehindert hätte.« Mrs. Faraday schnalzte mit der Zunge und zerrte entrüstet die Laken vom Bett. »Warum Master John die Kinder hütet, obwohl sein Vater eine Gouvernante bezahlt, entzieht sich meiner Kenntnis. Mir erscheint es zumindest verwunderlich, dass Sie – wie hat er das so schön gesagt? – Ihren Schlaf verdienen, während Master John längst aufgestanden und munter ist? Höchst seltsam, wenn Sie mich fragen.«
    Charmaine stöhnte innerlich, weil ihre geröteten Wangen womöglich zu falschen Schlüssen verleiteten. »Ich frage Sie aber nicht, Mrs. Faraday, und ich bedauere, dass Sie Master Johns Freundlichkeit so obszön missdeuten.«
    »Ich bin nicht dumm, Miss Ryan«, spottete Mrs. Faraday, »aber Ihre Bemerkung beim Dinner hat inzwischen im Haus die Runde gemacht. Bisher dachte ich, dass Sie Master Paul eifersüchtig machen wollten, aber nun … nun bin ich mir nicht mehr sicher.«
    Jetzt reichte es Charmaine endgültig. »Nehmen Sie Ihre Wäsche, Mrs. Faraday, und verlassen Sie auf der Stelle mein Zimmer!«
    Das stopfte der Haushälterin den Mund. Schweigend bündelte sie die Laken und rauschte beleidigt davon.
    »Und wenn ich das nächste Mal länger schlafe, dann wecken Sie mich gefälligst nicht! Ich werde nicht dafür bezahlt, mir Ihre Gemeinheiten anzuhören.«
    Als die Tür ins Schloss knallte, stand Charmaine mit geballten Fäusten mitten im Zimmer und biss vor Wut die Zähne aufeinander.

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