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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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wie ernst es um sie steht. Ich habe die Beziehung, die wir aufgebaut hatten, als normal empfunden, trotz des Altersunterschieds. Sie hat mir das Gefühl gegeben, mich zu wollen, mich zu lieben, mit mir zusammen Musik zu hören, über Dinge zu reden, die sie beschäftigen. Aber war das auch für sie wahr? Oder hat sie, unter einer dünnen Schicht von Normalität, gewußt, daß sie mental krank ist, und wollte das vor mir verbergen und vor allen, mit denen sie verkehrte, trotz ihres fachlichen Wissens als Ärztin?
    Jetzt ist sie abhängig von Lithium, lese ich. Hoffentlich wird diese Arznei ihre Krankheitsdauer verkürzen. Sie hatte die Krankheit zwar schon früh, aber zwischen den Krankheitsperioden kann man viele Jahre psychisch gesund sein, steht in den Büchern.
    Ich lese, daß statistisch gesehen 80% einen Rückfall erleiden. Daß sich die Krankheit verschlimmern kann.

    Selma Lynge kommt. Sie steht vor der Haustür im Elvefaret und trägt einen Pelzmantel, der groß und deutsch aussieht. Heute sind unsere Rollen vertauscht, heute bin ich der Gastgeber und habe sogar Darjeeling-Tee besorgt.
    »Aksel, mein Lieber. Wie geht es Marianne?«
    Ich helfe Selma Lynge aus dem Mantel.
    »Ich weiß es nicht«, sage ich aufrichtig. »Ich darf sie nur selten anrufen, damit ihre Behandlung nicht gestört wird.« »Hat sie jetzt eine Diagnose?«
    »Manisch-depressiv.«
    Selma Lynge nickt. »Das habe ich mir gedacht. Diese Krankheit haben wir alle in uns, Aksel, vergiß das nicht. Sonst könnten wir keine Künstler sein.«
    Ich würde ihr gerne sagen, daß das eine unpassende Bemerkung ist, schlucke es aber hinunter.
    »Laß uns heute ausnahmsweise zuerst reden«, sagt sie.

    Wir sitzen im Wohnzimmer, jeder auf einem Corbusier.
    »Ich mag dieses Haus«, sagt Selma Lynge. »Bror Skoog hatte einen guten Geschmack.«
    Ich nicke.
    »Eines sollst du jedenfalls wissen«, sagt Selma Lynge. »Du kannst das Debüt verschieben, wenn du willst.«
    »Ich will es nicht verschieben«, sage ich.
    »Es geht dabei nicht nur um dich. Es geht auch um uns, die bereit sind, auf dich zu setzen. Nicht zuletzt W. Gude, dein Impresario.«
    »Ich will nicht verschieben«, wiederhole ich.
    Selma Lynge schaut mich traurig an. »Marianne wird viel von deiner Aufmerksamkeit brauchen, wenn sie heimkommt. In einer derartigen Beziehung bist du noch nie gewesen, Aksel, deshalb weißt du nicht, was das bedeutet. Möglicherweise braucht sie all deine Zeit . Und welche Zeit bleibt dir dann noch, um zu debütieren? Willst du es machen wie Rebecca Frost? Etwas Halbherziges abliefern und mit den Schultern zucken? Ich habe es bereits einmal gesagt: Worum geht es? Konzertpianist nach den heutigen Erwartungen sein, mit Stars wie Argerich, Barenboim und Ashkenazy, verlangt absolute Hingabe. Ich sage das aus Respekt vor dir und mit einer Portion Angst, denn ich weiß nicht, ob dir bewußt ist, was jetzt von dir verlangt wird.«
    »Das ist mir bewußt«, sage ich. »Ich werde im Juni debütieren. Ich werde meinen Teil des Paktes erfüllen.«
    »Und du weißt, daß du im April nach Wien sollst, zu Seidlhofer? Du weißt, daß du sie dann allein lassen mußt?«
    »Ja«, sage ich. »Auch Marianne würde das nicht anders wollen.«

    »Spiele eine Platte von Joni Mitchell für mich«, sagt Selma Lynge.
    » Joni Mitchell? «
    »Ja. Ich möchte wissen, welche Musik dich und Marianne verbindet.«
    Ich lege »Clouds« auf. »I Think I Understand.«
    Selma Lynge hört zu, starrt hinaus zu den Tannen. Ich sehe sie im Profil. Ich empfinde Mitleid mit ihr. Sie wirkt erschöpft. Ängstlich. Mir gefiel die Art, wie sie Marianne akzeptierte. Ich bin dankbar dafür, daß sie unsere Beziehung respektiert. Jetzt muß ich die Verantwortung übernehmen, muß ihr ein gutes Debütkonzert präsentieren. Sie erträgt keine weitere Enttäuschung.
    Das Lied ist zu Ende.
    »Schön«, sagt sie. »Aber einfach.«
    »Diese Musik bedeutet mir im Moment sehr viel. Besonders, solange Marianne nicht da ist.«
    »Das verstehe ich«, sagt sie. »Aber es hat nichts mit Beethovens op. 110 zu tun.«
    »Doch«, sage ich. »Mehr als du ahnst.«
    »Es ist unmöglich«, sagt sie bestimmt. »Diese Musik hat keine andere Ambition, als eine Stimmung einzufangen. Beethoven dagegen will das Geheimnis des Daseins aufdecken. Das ist, als würde man die ›Brüder Karamasow‹ mit einem Groschenroman vergleichen. Aber wir wollen die Zeit nicht mit weiteren Diskussionen vergeuden.«

    Wir arbeiten heute mit Beethoven. Selma

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