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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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einen blow job verdient.«
    »Was ist ein blow job?« sage ich.
    »Das wirst du gleich erfahren«, sagt sie und drückt mich auf die Couch.
    »Nein«, sage ich, als ich verstehe, was sie vorhat. »Nicht jetzt. Bloß jetzt nicht, du liebes Biest.«

    Später trinken wir Tee. Ich freue mich, daß Rebecca mich besucht. Und mir ist etwas flau zumute. Sie hat nicht ihre üblichen Hemmungen. Jetzt fixiert sie mich wie eine besitzergreifende, große Schwester.
    »Vielleicht verstehst du mich jetzt besser?« sagt sie.
    »Was meinst du?«
    »Daß du nachgedacht hast. Daß du dich erinnerst, was ich sagte. Daß du die Wahl hast zwischen dem Glück und …« »Und?«
    »Marianne Skoog.«
    »So wie du die Wahl hast zwischen der Trauer und Christian … wie heißt er noch mal?«
    »Du sollst mich nicht ärgern.«
    »Langballe, ja.«
    »Du solltest jetzt ganz still sein, nachdem du eben ein unwiderstehliches Angebot bekommen hast.«
    »Und es abgelehnt habe, weil ich, im Gegensatz zu dir, gewisse moralische Prinzipien habe.«
    Sie hat Tränen in den Augen.
    »Du liebst sie also wirklich?«
    »Ja«, nicke ich. »Das läßt sich nicht abstreiten.«
    »Ich dachte nicht, daß es so ernst ist«, sagt sie betroffen.

    Sie steht in der Tür und will gehen. Sie sieht traurig und elend aus. Ich möchte sie nicht so sehen.
    »Aber du wirst trotzdem bei meiner Hochzeit den Trauzeugen machen, oder?«
    »Klar«, sage ich und küsse sie auf die Wange. »Auf jeden Fall.«
Tage im Dezember
    Selma Lynge ruft jeden zweiten Tag an und fragt, ob ich zu ihr und Torfinn zum Essen kommen will. Sie ist aufrichtig um mich besorgt. Aber ich möchte im Moment meine selbstauferlegte Einsamkeit nicht verlassen. In der Einsamkeit kann ich meine Sorge um Marianne finden. Ich will diese Sorge. Ich will die Ruhe zum Nachdenken. Ich merke, daß mich alle Ablenkungen irritieren. In der Klinik haben sie gesagt, daß Marianne über Weihnachten heimkommen darf, aber danach wieder zurückmuß. Sie kann also nicht mitkommen zur Hochzeit von Rebecca Frost und Christian Langballe. Das ist halb so schlimm.
    Aber Selma Lynge will gerne unsere nächste Unterrichtsstunde im Elvefaret halten. Sie will hören, wie ich auf Anjas Flügel spiele. Ich rufe Marianne in der Klinik an. Sie klingt angestrengt, scheint meine Frage nicht zu verstehen.
    »Hast du etwas dagegen, daß Selma Lynge in dein Haus kommt und dort mit mir übt?« sage ich.
    »Natürlich nicht«, sagt sie fast gereizt. »Warum fragst du?«
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Zwischen uns entsteht eine schmerzliche Stille, die erste dieser Art, die diesen schwierigen Winter prägen wird.
    »Dann kommt sie morgen«, sage ich.
    »Gut«, sagt sie kurz.
    Ich kann nicht auflegen, muß wissen, wie es ihr geht.
    »Was hast du heute gemacht?«
    »Ich kann nicht reden«, sagt sie schnell und legt auf.

    Diese kurzen Telefongespräche machen mich krank. Aber ich verstehe, daß sie ihre Ruhe braucht. Sie muß so vieles wieder ins reine bringen. Aus ihren Andeutungen entnehme ich, daß ihre Ärztin meint, ich würde störend auf sie einwirken. Ich bin nicht Teil der Geschichte, auf deren Grund sie kommen muß.
    Aber wie kann man ihr eine Diagnose geben und sie trotzdem derartig sezieren? Meinen diese Ärzte etwa, sie könnten Marianne so heilen, daß sie plötzlich durch die Klinikpforte gehen und sagen kann: ›Hier bin ich. Und ich bin nicht mehr manisch-depressiv.‹
    Ich mache mich kundig, lese alles, was mit Mariannes Krankheit zusammenhängt. Ich lese über die manisch-depressive Psychose, über die extremen Stimmungsschwankungen. Im Lexikon steht auch, daß Manisch-Depressive sexuell promiskuitiv werden. Aber das betrifft ja Marianne nicht, denke ich. Abgesehen davon haben wir unsere Beziehung zu früh in der Trauerphase angefangen. Das begreife ich jetzt. Ich lese über die depressive Krankheitsphase, wie der Patient sich immer mehr in sich zurückzieht. Ich lese über die Selbstmordgefahr, daß das Risiko größer ist, wenn die Depression abklingt und der Patient wieder zu Kräften kommt. In dieser Situation war Marianne an dem Abendbei Selma und Torfinn Lynge. Sie war stark genug, den letzten Teil ihrer schwierigen Geschichte zu erzählen, sogar vor fremden Menschen. Und sie war ein paar Stunden später stark genug für einen Selbstmordversuch.
    Diese Zusammenhänge erschrecken mich. Es erschreckt mich, daß es Marianne in der Zeit, in der wir zusammen waren, so gut zu gehen schien und ich nicht gemerkt habe,

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