Der Fluß
Marianne mit ihr ein Verhältnis gehabt hat.
»Das war wahrhaftig eine Überraschung«, sage ich, »zu erfahren, daß es dich gibt.«
»Mich gibt es seit zweiundfünfzig Jahren«, sagt sie mit einem trockenen, tristen Lachen.
»Dann sind auch zwischen dir und Marianne fast siebzehn Jahre?«
»Stimmt«, sagt sie. »Aber Probleme mit dem Alter hat Marianne offensichtlich weder in der einen noch in der anderen Richtung. Außerdem bist du gar nicht so jung, wie sie es darstellt.«
Wir lachen beide.
Ich schaue sie an, weiß, daß ich reden sollte, erklären sollte, warum ich dieses Treffen wollte. Aber sie ist so häßlich, daß ich einfach kein Wort herausbringe.
Sie ist hungrig. Als die Karte kommt, weiß sie sofort, was sie will. Beefsteak mit Béarnaise. Und bitte extra viel Béarnaise. Wenn sie über das Essen spricht, hat sie etwas Rattenhaftes und Gieriges.
Ich bestelle mir Forelle mit gekochten Kartoffeln.
Möchte sie Wein?
Ja gerne. Am liebsten roten Burgunder.
Ich bestelle Patriarch. Den einzigen Burgunder, den sie auf der Weinkarte haben.
Ihr ist es recht.
»Wozu sind wir hergekommen?« sagt sie, als das Thema Essen erschöpft ist.
»Ich weiß es nicht genau«, sage ich. »Ich fand es nur naheliegend, daß wir uns kennenlernen. Du weißt, daß ich bei Marianne wohne?«
»Daß du Untermieter bist, ja.«
»Sonst weißt du nichts? Daß ich auch eine Beziehung mit Anja hatte?«
»Marianne erzählt soviel. Das geht zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus.«
»Aber dir war bewußt, daß es Marianne ernst mit dir meinte?«
»Ernst mit mir? Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ich weiß nur, daß wir zusammen in Woodstock waren. Daß etwas Besonderes zwischen uns ablief. Etwas Nahes und Schönes. Von mir aus gesehen sehr ernst. Und Marianne hatte danach ihr Leben nicht mehr unter Kontrolle.«
»Hatte sie nicht?«
»Nein. Und das lag nicht nur an mir. Es war der Kurs, den sie einschlug. Sie war zu extrem.«
»Und trotzdem habt ihr geplant, zusammenzuleben?«
»Wer möchte nicht mit Marianne zusammenleben?«
Iselin Hoffmann schaut mich an, bestellt sich noch ein Bier, während das Essen und der Wein serviert werden. Sie schaufelt das Steak, die Kartoffeln und die Sauce in sich hinein. Sie trinkt das Bier schnell, rülpst leise, geniert sich nicht. Wie häßlich sie ist! So abstoßend! So grob!
Wir sind fertig mit dem Essen. Wir haben uns über das norwegische Gesundheitswesen unterhalten, über Wartezeitenim Krankenhaus, das, was ihre Welt ausmacht. Da sage ich:
»Ihr wolltet ein gemeinsames Leben?«
Sie nickt. »Ja«, sagt sie. »Wir hatten einander ein Versprechen gegeben. Ein Treueversprechen. Wir wollten unzertrennlich sein.«
»Sie hatte vor, bei dir einzuziehen?«
»Ja.«
»War Anja ein Teil des Problems?«
»Nein, eigentlich nicht. Für Marianne stand fest, daß Anja ausziehen und im Ausland studieren würde. Sie glaubte und hoffte, Bror würde im Elvefaret bleiben, würde sich ein neues Leben aufbauen, ohne all die Sorgen um ihre Person. Wir hatten ganz konkrete Pläne, verstehst du. Ich habe eine sehr teure Wohnung in bester Lage. Die wollten wir veräußern und uns in Ceylon ein Haus am Strand kaufen.«
»Abhauen und alles hinter sich lassen?«
»Wir verstanden das nicht als Flucht. Wir wollten nur Frieden in unseren Leben. Ich glaube, Marianne war unglaublich genervt von Brors Detailbesessenheit. Du kennst ja Marianne. Du wirst sie übernehmen. Du weißt, daß sie es nicht erträgt, kontrolliert zu werden. Ich konnte damit umgehen. Denn ich habe dieselbe Aversion. Ich wußte, worunter sie litt.«
»Bist du nicht verzweifelt?«
»Warum sollte ich verzweifelt sein?«
»Weil Schluß ist zwischen euch?«
»Mit Marianne Skoog ist nie Schluß. Das wirst du noch merken.«
»Dann seid ihr doch zusammen?«
»Nein, nicht wie du meinst. Aber wir werden nie voneinander loskommen. Jedenfalls nicht mental.«
»Bist du auf mich eifersüchtig?«
Iselin Hoffmann schnaubt. »Eifersüchtig auf dich? Einen achtzehnjährigen Jungen? Nein, das wäre zu dumm.«
Neunzehn Jahre
Heute ist mein Geburtstag. Marianne weiß nichts davon. Ich feiere im Elvefaret zusammen mit Rebecca, die einen Marzipankuchen von Halvorsens Conditori mitgebracht hat. Aber ich bin nicht krank.
»Iß jetzt«, sagt sie und blickt mir liebevoll und etwas besorgt in die Augen.
»Sehr gut«, sage ich und schmatze.
»Braves Hundchen«, sagt sie. »Du bist jetzt ein großer Junge. Du hast eigentlich zu Ehren des Tages
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