Der Fluß
aber merkwürdigerweise bin ich um den Bauch nicht dicker geworden.
Es ist die dunkle Zeit in Norwegen. Der Schnee ist nicht liegengeblieben. Die Menschen kommen von allen Richtungen aus der Dunkelheit zur hell erleuchteten Kirche. Wieder ist Rebecca an der Reihe. Ach Rebecca, bist du sicher, daß du das Richtige tust?
Sie und Christian haben die Wohnung, die ich ihnen vermietete, gekündigt. Als Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern bekommen sie eine eigene Wohnung in der Bygdøy allé. Ich muß mich also um neue Mieter kümmern, hatte aber noch nicht die Nerven dazu. Meine Gedanken kreisen nur um Marianne und wie es um sie steht. Es hilft wenig, daß sie in der Klinik ist, daß es Nachtschwestern gibt, daß man sich um sie kümmert. Aber was wird sein, wenn sie nach Hause kommt?
Ich treffe die Elternpaare, begrüße kurz Christian und seinen Trauzeugen, der eine noch taktlosere Ausgabe des Bräutigams ist und Gilbert Vogt heißt. Keinem der beiden bin ich besonders sympathisch. Sie fragen sich vermutlich, welche Rolle ich in Rebeccas Leben eigentlich spiele. Christian trägt einen Smoking von Ferner Jacobsen und hat Schweißperlen auf der Stirn. Berühmte Namen aus der klassischen Szene finden sich ein, darunter auch Selma undTorfinn Lynge. Natürlich kommen sie. Ich stelle fest, daß Selma Lynge diesmal etwas dezenter gekleidet ist, nicht so raffiniert in Türkis. Auch sie trägt Schwarz, wie bei einem Begräbnis. Ich nicke ihnen von meinem Platz aus oben am Altar zu, und sie nicken freundlich zurück. Wir sind uns nähergekommen nach all dem, was passiert ist, denke ich. Sie sind für mich keine angsteinflößenden Gestalten aus der Welt der Kultur. Sie sind Menschen, zu denen ich gehen kann, wenn ich wirklich in Not bin. Sie wissen um meine schwierige Situation.
Dann fängt es an. Die Türen werden weit geöffnet. Wir erheben uns. Rebecca Frost kommt in ihrem weißen Brautkleid, und natürlich hoffen wir, daß sie diesmal nicht stolpert. Sie tut es nicht. Sie schreitet langsam am Arm ihres Vaters den Mittelgang herauf, und die Orgel spielt Mendelssohns Hochzeitsmarsch aus »Ein Sommernachtstraum«, dieses lebensgefährliche Stück, das die Monogamie und die Liebe aller Art verspottet. Was für ein Einfall, daß ausgerechnet dieser Marsch, der für Untreue, Verlieben und Verirren steht, dem Eheversprechen von Menschen Ewigkeit verleihen soll, die nicht einmal im Traum untreu sein wollen. Geht es nur um die Musik?
Ja, denke ich, es geht allein um die Musik und ihre große Kraft.
Die Braut wird übergeben. Endlich stehen Braut und Bräutigam beisammen. Bereit für ein gemeinsames Leben, das sie schon begonnen haben. Und ich stehe direkt hinter ihnen und denke an all das, was mir Rebecca erzählt hat, wo sie es miteinander getrieben haben, im Steen & Strøm, im Aulakeller und vielleicht auch oben auf dem Podium. Hier in der Kirche können sie sich nur ehelichen lassen, und weiß Gott, warum sie das tun.
Wehmut überkommt mich, Schwermut und Angst vor dem, was die Zukunft bringt. Ich denke an meine Trauzeugenrede und weiß eigentlich nicht, worüber ich reden soll. Aber das wird sich ergeben. Jetzt treten Gilbert Vogt und ich zu dem Brautpaar, die einen Augenblick aussehen, als stünden sie oben auf einer Riesentorte und nicht auf den zerschlissenen Teppich der Frognerkirche und tauschten die Ringe.
»Willst du, Christian Langballe, …«
Ja, er will.
Und Rebecca Frost will ebenfalls.
Es wird eine würdige Zeremonie. Ingrid Bjoner und das Hindarquartett sind zur Stelle. Der Priester liest die ergreifenden Worte aus dem Buch Kohelet. Ja, es gibt für alles eine Zeit. Und jetzt ist die Zeit für Rebeccas selbstgewähltes Glück. Ich stehe oben am Altar und merke, daß mich viele anstarren. Entweder wissen sie, daß meine Mutter im Wasserfall ertrank, oder sie wissen, daß ich mit Marianne Skoog zusammen bin, oder vielleicht beides. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Außerdem starren sie auf meinen Anzug.
Nach der Zeremonie werden wir wie üblich in Bussen zum Palast der Frosts nach Bygdøy befördert. Selma und Torfinn Lynge passen mich ab und wollen im Bus mit mir zusammensitzen.
»Wie habt ihr, Marianne und du, Weihnachten verbracht?« sagt Selma Lynge. »Wir haben an euch gedacht, Torfinn und ich.«
Sie redet mit mir, als sei sie meine Tante, denke ich. Ich weiß nicht, ob ich das mag, ob ich diese Nähe will. Im Grunde war es mir lieber, als sie mich mit dem Lineal grün und blau schlug. »Marianne
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