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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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mir, mich zusammenzunehmen. Ich will mich nicht schwach zeigen. Nicht jetzt.
    »Danke, daß du um meine Hand angehalten hast«, sagt sie. »Danke, daß wir hier sind.«
Der erste Abend in Wien
    Sie vergißt ihre Mutterrolle, die rührende, aber immer aufgesetzte Sorge um mein Leben als Pianist. Ich fühle mich stark genug, das Debüt aus dem Stand zu meistern. Vielleicht wird alles anders, als ich denke, aber ich bin jetzt vorbereitet. Mariannes lange Abwesenheit im Winter hat mir die Zeit gegeben, die ich brauchte, um technisch perfekt zu werden. Und durch all die erschütternden Ereignisse habe ich vielleicht auch eine größere Membran oder eine tiefere Empfindung dafür, was Musik vermitteln soll.
    Wir sind in Wien. Wir sind weg von all dem, was unsverbindet. Deshalb können wir uns mit anderen Augen sehen. Arm in Arm gehen wir auf der Philharmonikerstraße, biegen in die Kärntnerstraße ein und passieren das Winterpalais von Prinz Eugen. Wir gehen in den Graben, setzen uns ins Café Hawelka in der Dorotheengasse und trinken eine Karaffe Grünen Veltliner. Wir sind jung und verliebt, und wir reden über alles, was Zukunft in sich hat, daß wir, nach meinem Debüt, eine Hochzeitsreise machen müssen, irgendwohin weit weg, nach Asien, nach Woodstock, nach Spitzbergen, das Leben ist voller Möglichkeiten, und dieser Abend kann unsere Träume nicht aufhalten. Vielleicht ist dieser Abend die eigentliche Hochzeitsnacht, denke ich. Weil wir zum erstenmal zusammen ganz glücklich sind.
    Wir halten uns an den Händen und reden und reden und streifen manchmal die Vergangenheit. Dann erzählt sie lustige Episoden aus der Klinik, und ich erzähle in abgeschwächter Form von damals, als Selma Lynge so wütend wurde, daß sie mich mit dem Lineal verprügelte. Danach besichtigen wir den Stephansdom, sind überwältigt von den Dimensionen, von der Wucht dieser Kathedrale. In einem Eckcafé trinken wir wieder Wein. Dann gehen wir in das Beisel »Beim Czaak« an der Ecke Postgasse und Fleischmarkt, sitzen auf unbequemen Stühlen und essen Schnitzel und trinken dazu einen Blaufränkischen aus dem Burgenland.
    »Das müßte doch deine Stadt sein?« sagt Marianne und lächelt glücklich um meinetwillen. »An einem Tag, an dem du frei hast, müssen wir sehen, wo Mozart wohnte, wo Schubert war, wo Mahler komponierte. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich, aber das erfährst du erst am Samstag früh.«

    In der Nacht liegen wir eng umschlungen in dem großen Doppelbett. Ob wir wach werden oder uns wecken, weißich nicht, aber jedesmal verschmelzen wir miteinander, und es gibt keine Grenze in mir und kein Halten in ihrer Bereitschaft, auf mich einzugehen. Von der Straße herauf hören wir die Laute festlich gestimmter Menschen, obwohl es die Nacht zum Dienstag ist. Eine Kirchenglocke schlägt. Ein fernes Lachen klingt zwischen den Hausmauern.
    »Bist du jetzt glücklich?« sage ich um sechs Uhr morgens, als das erste Licht durch einen Spalt in den Gardinen fällt. »Ja«, versichert sie mit blasser Haut und blassen Lippen. Ich bin noch nie einem Gesicht so nahe gewesen. »Du bist wunderbar, mein Junge. Es ist, als würdest du mich, wenn wir uns lieben, wieder in meine Jugend zurückversetzen.«
Hochschule für Musik und darstellende Kunst
    Wir frühstücken gegen zehn Uhr auf dem Zimmer. Sie ist besorgt um mich, und ich gebe zu, daß ich einen Kater habe. Um zwölf Uhr bin ich mit Professor Seidlhofer in der Hochschule für Musik und darstellende Kunst verabredet. Ich werde ihm Beethoven vorspielen. Am nächsten Tag soll ich den Rest des Debütprogramms vortragen. Anschließend spiele ich das gesamte Programm vor ihm und drei anderen Professoren der Hochschule. So hat sich Selma Lynge das ausgedacht. Sie möchte, daß ich die österreichische Mentalität kennenlerne. In der letzten Stunde vor meiner Abreise erinnerte sie mich daran, daß ich jetzt dorthin komme, wo Martha Argerich studiert hat, wo Nelson Freire, Paul Baruda Skoda und Friedrich Gulda studierten.
    Seidlhofer ist der Sammelpunkt, der oberste Richter.

    »Bist du nicht nervös?« fragt Marianne ängstlich. Sie sitzt mir im Morgenrock gegenüber, trinkt Grapefruitsaft und ißt Croissants mit Marmelade auf der Unterseite. Sie zeigt mir so vieles, was ich nicht kenne.
    »Nein«, sage ich. »Du bist doch die beste Kur für meine Nerven.«
    »Und sobald du von der ersten Stunde zurückkommst, werde ich augenblicklich die Kur fortsetzen«, sagt sie.
    »Was wirst du tun,

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