Der Fluß
verloren hatten. Ich fliege zum erstenmal und will nicht zugeben, daß ich Angst habe. Daß ich die Turbulenzen fürchte, die regelmäßig auftreten. Sie wirkt dagegen völlig unbekümmert. Wir küssen uns immer wieder, bis die Stewardeß ausruft:
»Ein derart verliebtes Pärchen habe ich noch nie erlebt!«
Am Nachmittag kommen wir in Wien an. Ich bin zum erstenmal in meinem Leben in einer Weltstadt, fahre durch breite Straßen, sehe die alten, ehrwürdigen Gebäude dicht an dicht bis zum Zentrum. Auch Marianne schaut mit großen Augen.
»Mein Gott, hier ist es wirklich schön«, sagt sie. »Die Macht und die Grausamkeit haben immer ihr wahres Gesicht hinter schönen Fassaden zu verstecken gewußt.«
»Bist du hergekommen, um Revolution zu machen?« frage ich.
»Nein, ich bin hier, um einen sehr attraktiven Mann zu heiraten«, lächelt sie und kneift mich in den Oberschenkel.
Wir fahren am Hotel vor, und meine Selbstsicherheit sinkt um ein paar Grade. Was mache ich mit dem uniformierten Mann, der den Wagenschlag öffnet, zuerst für Marianne, dann für mich? Die Wärme, die mir entgegenschlägt. Hier ist es schon Sommer. Marianne sieht meine Unsicherheit und übernimmt die Rolle, vor der mir seit Wochen graut. Gentleman sein, das richtige Trinkgeld geben, die richtigen Wörter auf englisch sagen, und das, obwohl ich, der Schulabbrecher, kaum ein Wort Englisch spreche, wenn mich Marianne auch getestet hat und behauptet, ich sei eine Sprachbegabung. Jetzt zeigt sich, daß Marianne sich eben doch vorbereitet hat, österreichische Schillinge aus der Brieftasche zieht und die Scheine nach allen Seiten verteilt. Sie winkt nach mir, als wir zur Rezeption gehen, und hat innerhalb von zwei Minuten alle Formalitäten erledigt.
Ich finde es gut, daß sie das macht, aber ich finde nicht gut, wenn mir die Verantwortung genommen wird. Ich werde dann an den Altersunterschied zwischen uns erinnert. Sie hat fast doppelt soviel Erfahrung. Sie ist weltgewandt.
Wir stehen in dem luxuriösen Zimmer, gestaltet mit Marmor und rotem Samt, Ölgemälde an den Wänden. Einer der uniformierten Hoteldiener ist mit den Koffern gekommen. Champagner, den Marianne offenbar mit der Buchungbestellt hat, steht auf dem Salontischchen. Zwei Gläser. Eine Schale Oliven. Eine Schale Nüsse.
»Entschuldigst du mich?« sagt sie. »Ich muß erst mal duschen.«
Ich höre durch die Tür das Geräusch von rinnendem Wasser, stelle mir vor, wie sie da steht, ganz nackt. Stelle mir ihren schlanken, jugendlichen Körper vor, den Bror Skoog angebetet hat. Ich stelle mir vor, wie sie mit ihm in der Welt herumgereist ist, von Luxushotel zu Luxushotel. Der Hirnchirurg und die Gynäkologin. Nicht so viel Geld. Aber genügend Geld. Für einen Steinway. Für Woodstock. Für Hotel Sacher.
Frisch und gut gelaunt kommt sie im weißen Bademantel des Hotels aus dem Bad.
»Empfehlenswert«, sagt sie.
Ich verstehe, daß das ein Befehl ist, und gehe ins Bad. Auch ich genieße das warme Wasser nach dem Alkohol. Wir sind beide nicht nüchtern. Aber auch nicht betrunken. Ich bin glücklich, weil sie glücklich ist.
Als ich wieder aus dem Bad komme, steht sie mit einem Sektglas in der Hand wartend da. Sie hat das Fenster geöffnet, aber die Gardinen vorgezogen. Wir hören von der Straße die Laute des Verkehrs. Das ist nicht Oslo. Das ist nicht Elvefaret.
»Es ist ein so befreiendes Gefühl, hier zu sein«, sagt sie.
»Wirklich?«
Sie stellt ihr Sektglas ab, kommt zu mir, küßt mich geheimnisvoll. Öffnet den Mund und läßt den noch kühlen Champagner in mich fließen.
Wie erfahren sie ist, denke ich, und Eifersucht steigt auf. Das hat sie schon einmal gemacht.
Aber diesmal bin ich an der Reihe. In vier Tagen werde ich sie heiraten. All das Traurige soll Vergangenheit werden.
»Jetzt ist es vorbei«, sagt sie und schlingt die Arme um meinen Nacken. »Jetzt spüre ich, daß es sich löst.«
»Ich bin so glücklich in deinen Armen«, sage ich.
Sie schiebt mich aufs Bett.
»Ich will dich haben!« Es ist ein tiefer Klang in ihrer Stimme. »Hab keine Angst, Aksel. Du hast so lange gewartet. Diesmal mußt du nicht abbrechen. Mach mit mir, was du willst.«
Sie weint, als sie kommt. Und sie kneift die Augen zusammen. Das Weinen ist aber nicht so verzweifelt wie früher. Und danach streichelt sie mir zärtlich, fast dankbar über den Rücken.
Ich kann meine Gefühle kaum steuern. Ich möchte auch weinen, denn es waren sechs höllische Monate. Aber es gelingt
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