Der Fluß
leer, Anjas Zimmer. Soll das niemand bewohnen? Und dann der Flügel. Er soll besonders gut sein. Trifft das zu?« »Natürlich ist er gut. Steinway stellt nichts Schlechtes her. Und der hier gehört zu den besten A-Modellen, auf denen ich gespielt habe. Der Widerstand der Tastatur entspricht ganz meinen Vorstellungen. Fein gestimmt. Exakt das, was ich jetzt brauche.«
Sie nickt, ist mit ihren Gedanken woanders.
»Ich klebte also diese Zettel an die Lichtmasten. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das wirklich wollte. Deshalb setzte ich keine Annonce in die Zeitung.«
»Weil du dir nicht sicher warst, ob du einen fremden Menschen hier haben möchtest?«
»Du bist nicht fremd«, sagt sie.
»Und die Miete ist 500 im Monat?«
»Findest du das zu teuer?« fragt sie.
»Nein«, sage ich.
Anjas Zimmer
Sie will mir das Zimmer im ersten Stock zeigen. Es hätte auch das Gästezimmer sein können. Es steht ebenfalls leer. Aber sie will wieder Schritte in Anjas Zimmer hören. Es ist kompliziert für mich, hinter Marianne Skoog die Treppe hinaufzugehen und an das letztemal zu denken, als ich hier ging. Das war kurz vor Weihnachten, und ich ging fast schlafwandlerisch, die ohnmächtige Anja auf meinen Armen. Wie zerbrechlich sie war, fällt mir ein, obwohl sie den dicken lila Pullover anhatte. Sie konnte kein Blut sehen. Die kleine Wunde, die sie sich aus Versehen mit dem Küchenmesser beigebracht hatte, genügte. Aber ich handelte geistesgegenwärtig und trug sie in ihr Bett. Damals hatte ich gedacht, das sei die beste Lösung. Jetzt denke ich, daß ich sie ebensogut auf die Couch im Wohnzimmer hättelegen können. Aber ich wollte eine intimere Umgebung. Ich wollte in ihr Zimmer. Zu ihrem Bett. Und sie wußte das. Ich erinnere mich, wie sie leise sagte: »Du darfst gerne mit mir schlafen.« Und ich, wie ich verlegen antwortete: »Das meinst du nicht ernst.« Heute denke ich, sie hat das nicht wirklich ernst gemeint. Aber jetzt ist es zu spät. Und ich tat es. Dabei war ihr Körper viel zu dünn, und sie hatte sicher keine Freude daran. Aber von dem Augenblick an hatte ich das Gefühl, als seien wir für immer miteinander verbunden.
Die Türen im oberen Stockwerk stehen offen wie damals auch. Ich werfe einen Blick in das Schlafzimmer von Bror und Marianne Skoog. Da stand ein lächerliches Bett mit Motor, es konnte wie ein Krankenhausbett in alle Positionen gehoben und gesenkt werden. Das steht nicht mehr da. Ein neues Doppelbett hat diesen Platz eingenommen, weniger technisch und aufwendig, dafür femininer. Ich wüßte gerne, ob sie schon mit jemandem darin geschlafen hat. Schmutzige Gedanken, die ich nicht haben sollte. Das Bad ist wie immer, kalt und silbern, mit riesigen Spiegeln. Dann kommen wir in Anjas Zimmer, und es ist ein leeres und schmerzhaftes Gefühl, hinter Marianne hineinzugehen. Auch wenn sie nicht hier gestorben ist, der Tod ist hier gewesen, hat zugepackt, hat geatmet. Ja, denke ich, diese abgestandene Luft ist der Atem des Todes. Das breite französische Bett steht noch da, das Hochzeitsbild von Marianne und Bror Skoog wurde entfernt. Nur Bach und Beethoven hängen beiderseits der leeren Fläche.
Wir blicken uns um. Ich spüre, daß es auch für sie schmerzlich ist, daß wir beide dagegen ankämpfen, zu weinen, in Gefühlen zu versinken. Sie will nicht bemitleidet werden. Sie will nicht, daß ich sie in den Arm nehme.
»Anja liebte dieses Zimmer so sehr«, sagt sie leise.
»Und trotzdem gibt es fast keine Einrichtung hier?«
»Sie lebte und atmete für die Musik.«
»Ja, aber ich weiß noch, daß ich bei diesem Anblick dachte, Bach und Beethoven an der Wand seien eine eher maskuline Gesellschaft für ein junges Mädchen.«
Marianne lacht. »Du kanntest sie ja. Du weißt, wie asketisch sie war. Wie wenig sie brauchte. Und falls du das Zimmer nehmen willst, steht es dir natürlich frei, die Bilder abzunehmen. Dieses Zimmer ist für mich kein Mausoleum. Du kannst es nach deinen Vorstellungen gestalten.«
Wieder im Erlengebüsch
Ich stehe im Flur und höre wie ein Echo, was ich gerade gesagt habe, daß ich am nächsten Montag um 18 Uhr einziehen werde. Sie ist um diese Zeit aus der Praxis zurück. Und ich erinnere mich, was sie gesagt hat, daß ich in Anjas Zimmer wohnen kann, daß ich den Garten in Ordnung halten muß, ein Minimum an Hausarbeit, sie ist da nicht kleinlich, daß ich täglich von 8 bis 17 Uhr am Flügel üben kann. Ein Meer von Zeit! Neun Stunden üben jeden Tag! Daß ich neben der
Weitere Kostenlose Bücher