Der Fluß
hast Angst, daß ab jetzt alles schwieriger werden wird.«
»Ich habe gar keine Angst«, sage ich.
»Bereust du es?«
»Nein.«
»Warum mußten wir das tun?«
»Du weißt, was ich für dich empfinde«, sage ich.
»Ja, aber du vermischst das alles zu sehr mit Anja.«
»Das ist nicht verwunderlich. Wir liegen in Anjas Bett.«
»Aber Anja ist tot. Ich fühle das sehr stark. Sie ist nicht mehr. Sie schaut uns nicht vom Himmel aus zu, wie gerne ich das auch hätte und glauben würde. Dann hätte ich nicht das getan, was wir eben getan haben.«
Sie begrenzt ein Problem, denke ich. Genauso wie es Rebecca in der Nacht nach dem tödlichen Bootsunfall machte. Aber früher oder später bricht der Damm. Er brach gestern, und er brach eben jetzt. Die Endpunkte sind zu extrem und sind so eng beieinander. Warum läßt sie das zu? Da muß eine Absicht dahinterstecken. Bin ich für sie ein Werkzeug? Eine wichtige Spielfigur in einem gewagten Spiel. Und falls das so ist, hatte der, der ertrank, auch diese Rolle?
Wir küssen uns verwundert wie zwei Gleichaltrige, die zu früh erwachsen wurden. Ich genieße ihre Erfahrung, daß sie so frei ist, so ohne Hemmungen und trotzdem so genant. Und obwohl wir uns in diesen Momenten so nahe sind, scheint sich ihr Gesicht langsam zu verschließen, als würde eine Vertrautheit zwischen uns verschwinden, weil wir jetzt eine Liebesbeziehung haben, weil wir von Trieben und Lust abhängig sind, weil wir uns von jetzt an viel leichter verletzen können, weil wir beide uns von jetzt an instinktiv gegen Enttäuschungen absichern, die der eine dem anderen zufügen könnte.
Wir bleiben im Bett liegen. Ich bin achtzehn Jahre alt, prall und kräftig, und ich will sie noch mal haben. Sie merkt es und entfacht die Lust, deren ich mich so lange geschämt habe. Diesmal weint sie noch mehr. Sie möchte keinen Trost. Wir haben jetzt ein Ritual. Sobald ich mich herausziehe, ist sie mit ihrer Hand da. Alles wird so deutlich. Die offenen Augen, die sie plötzlich fest zukneift.
Ich wage nicht, sie danach zu fragen. Ich fühle mich allein zusammen mit ihr. Sie hält mich umfaßt. Trotzdem fühle ich in meinem tiefsten Innern einen Punkt voller Kälte und Frost.
2. Teil
Gespräch in der Küche
Es ist später Nachmittag, als wir in der Küche stehen, jeder mit seiner Zigarette und seinem Kaffee, und ich sehe, wie erschöpft sie ist. Die Gedanken an das, was gerade geschehen ist, quälen sie.
Sie tritt nahe an mich heran.
»Ich hätte das nicht mir dir machen sollen«, sagt sie. »Du hast das nicht verdient.«
»Nun stellst du alles auf den Kopf.«
»Gereifte Frauen, die junge Männer verführen. Das gehört sich nicht, weder für dich noch für mich. Wärest du zwei Jahre jünger, würde ich bestraft.«
Ich lache. »Unsinn«, sage ich. »Wer hat hier wen verführt?«
»Reden wir nicht mehr darüber«, sagt sie schnell. »Aber wir wollen das, was passiert ist, auch nicht überbewerten. Mein Leben ist zu kompliziert, um eine Beziehung anzufangen.«
»Warst du mit dem, der ertrunken ist, zusammen?«
»Nicht so, wie du denkst.«
»Gehört er zum Rest deiner Geschichte?«
»Bitte nicht fragen. Du wirst es noch erfahren.«
»Dann sind wir nicht zusammen? Sind kein Liebespaar?« »Willst du das denn? Das ist vielleicht keine so gute Idee. Ich muß dich ganz entschieden davor warnen.«
Wir versuchen, einen munteren Ton anzuschlagen, aber was wir sagen, ist ernst.
»Ist es Anja, die zwischen uns steht?
»Nein, das ist es nicht. Aber obwohl wir beide um sie trauern, ist meine Trauer eine andere als deine. Du wirst weitergehen in deinem Leben. Aber nach all den schrecklichenEreignissen, die ich erlebt habe, ist es nicht sicher, daß ich jemals wieder eine vollwertige Beziehung eingehen kann. Und ich möchte, daß du das weißt.«
Sie sagt das mit ihrer Arztstimme, denke ich. Wie eine Diagnose. Unabhängig von Gefühlen. Nur die puren Fakten. Dabei gibt es schon viel zu viele Gefühle.
»Wir brauchen nichts festzulegen«, sage ich, um ihr zu helfen.
»Oder allzuviel erwarten«, sagt sie. »Du hast gemerkt, daß ich viel allein sein muß.«
»Ja«, sage ich, »ich habe mich schon gefragt, wo alle deine Freunde geblieben sind.«
»Die gibt es, aber mir ist nicht danach, sie mit nach Hause zu bringen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich will einfach meine Ruhe haben.«
»Und trotzdem hast du das Zimmer vermietet?«
Sie nickt, zieht den Rauch tief in die Lungen. »Weil ich dieses leere Haus nicht
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