Der Fluß
Unwillig und desinteressiert.
»Habe ich die Ehre?« sagt er und hält mir die Hand hin. Ich ergreife sie höflich.
»Aksel Vinding«, sagt Marianne Skoog. »Ein außergewöhnliches Klaviertalent. Er wird nächstes Jahr in der Aula debütieren. Er hat dich aus dem Meer gerettet.«
Der Fremde betrachtet mich mit neuen Augen. Jetzt erkenne ich ihn wieder. Es ist der Steuermann.
»Du warst dabei, als Erik Holm ums Leben kam?« sagt er. »Er war es, der dich gerettet hat«, sagt Marianne Skoog. »Stelle dich wenigstens vor.«
»Richard«, sagt er widerwillig. »Richard Sperring.«
»Aksel Vinding«, sage ich pflichtschuldigst. Jetzt sehe ich, daß Marianne Skoog ihn haßt. Diesen Auftritt hat sie erwartet. Sie hat ihn arrangiert, bis ins Detail. Sie muß gewußt haben, daß Richard Sperring an diesem Abend im Theatercafé sein würde.
»Er hat dich aus dem Meer gezogen, Richard«, sagt sie. »Ich darf doch annehmen, daß du ihm eine kleine Aufmerksamkeit geschickt hast? Einen kleinen Dank zumindest?«
Richard Sperring wird unruhig, murmelt plötzlich: »Das hätte ich natürlich tun sollen.«
Ich sehe ihn als Mann. Hochgewachsen. Gut aussehend. Aber trotzdem unbeholfen. Nicht vertrauenswürdig.
»Hast du deine Frau am Sonntag zum Essen ausgeführt?« sagt Marianne Skoog.
»Nein, sie ist zu Hause«, sagt Richard Sperring. »Ich habe ein Arbeitsessen mit meiner Sekretärin.«
»Ist das die hübsche Frau da drüben?« sagt Marianne Skoog und blickt zu einem Tisch am anderen Ende des Lokals.
»Ja, das ist sie«, sagt Richard Sperring verlegen.
Marianne nickt, ohne etwas zu sagen.
»Vielleicht können wir uns gelegentlich treffen«, sagt Richard Sperring verlegen.
»Ja, vielleicht«, sagt Marianne Skoog und beendet das Gespräch, richtet den Blick auf mich, und das ist peinlich für Richard Sperring, das ist demütigend. Ich werde rot vor Verlegenheit, möchte nicht Teil des Konflikts zwischen ihnen werden. In ihren Augen ist eine große Verzweiflung.
»Hat mich gefreut …« sagt Richard Sperring nervös und begreift instinktiv, daß er sich zurückzuziehen hat. Sie übersieht ihn jetzt völlig. Er verschwindet zwischen den Tischendes Lokals, kehrt zurück zum Arbeitsessen mit seiner Sekretärin.
Das Negative
»Was ist denn in dich gefahren?« frage ich, nachdem er gegangen war.
»Du hast ihn aus dem Meer gefischt«, sagt Marianne Skoog. »Er ist schuld daran, daß das Boot kenterte. Er hat Erik Holms Tod verursacht.«
»Ich verstehe, daß du mit Richard Sperring eine Rechnung zu begleichen hast«, sage ich. »Er hat einfach zuviel riskiert mit dem Boot. Wir haben es ja gesehen von unserem Tribünenplatz aus, Rebecca und ich.«
»Manchmal treten Menschen in unser Leben, die nur eine negative Wirkung auf uns haben, mit negativen Handlungsweisen und entsprechend negativen Konsequenzen. Eine Serie von Negativität, deren Ursache wir zunächst nicht erkennen«, sagt Marianne Skoog. »Ich fürchte, daß ich eine solche Person in deinem Leben bin, Aksel. Verstehst du das?«
»Nein«, sage ich.
»Aber Richard Sperring ist eine solche Person in meinem Leben. Ohne ihn wäre die Tragödie nicht passiert, die zu den anderen zwei Tragödien noch hinzugekommen ist. Mit denen, glaubte ich, würde ich irgendwie zurechtkommen, jedenfalls mit Hilfe der Zeit. Aber daß das Boot kenterte und daß Erik Holm ertrank, das brachte auch mein Leben zum Kentern. Ich habe es noch nicht wieder auf den richtigen Kurs gebracht, und das hast du bereits gesehen.«
»Vielleicht trete auch ich als etwas Negatives auf?« sage ich.
Da legt sie schnell ihre Hand auf meine. »Das kannst du nicht«, sagt sie. »Weil du lieben kannst.«
»Aber ich verstehe, was du meinst«, fahre ich fort. »Und wir, die einem Menschen nahestehen, können es vielleicht besser sehen. Nimm meinen Vater zum Beispiel. Er kam nicht mit Mutters Tod zurecht, kam nicht heraus aus der Trauer. Da tauchte sie auf, Ingeborg aus Sunnmøre. Die mit der Damenunterwäsche. Sie meinte es sicher gut. Meinst du nicht, daß es auch Richard Sperring gut meinte?«
»Ich liebe dich, wenn du so redest«, sagt sie und lächelt anerkennend, immer bereit, den Altersunterschied zwischen uns zu übersehen. »Dann wirkst du so alt und weise, weißt du das?« Sie lacht. »Und ich habe eine Vorliebe für alte Männer.«
Ich werde rot. »Jung habe ich mich eigentlich auch nie gefühlt«, stottere ich verlegen, weil sie mich so mustert und weil das, was ich eben sagte, so idiotisch
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