Der Fluß
ertrage.«
»Du könntest es verkaufen?«
Sie nickt. »Ich weiß, aber soweit bin ich noch nicht.«
»Du bist jung«, sage ich, »viel jünger, als du vorgibst zu sein. Und du kannst Kinder bekommen, eine neue Familie gründen.«
»Ich weiß, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Und ich will, daß du dir darüber im klaren bist.«
»Du willst also, daß wir asketisch leben, wieder wie Zimmerwirtin und Untermieter?«
Sie küßt mich rasch auf den Mund, schiebt mich ins Wohnzimmer und hinüber zur Couch, wo wir uns in die Arme fallen.
»Nur wenn es möglich ist«, sagt sie mit einem schelmischen Lächeln.
Im Theatercafé
Sie läßt mich ein paar Stunden üben, fordert mich mit aufgesetzt mütterlichen Gesten dazu auf. »Hast du Anja auch so angetrieben?«
»Nein«, lacht sie. »Anja war ein Mädchen. Mädchen muß man freundlich behandeln.«
Sie geht in ihr Zimmer, das verbotene Zimmer, wo sie den ganzen Nachmittag arbeitet. Dann kommt sie herunter.
»Störe ich?« fragt sie in einer kurzen Pause zwischen den Chopin-Etüden.
»Nein«, sage ich. »Für heute reicht es mir sowieso.«
»Es ist schön, dich oben durch den Fußboden spielen zu hören«, sagt sie. »Dieselben Stücke, die auch Anja übte.«
»Ihre Technik war phantastisch.«
»War sie das? Du spielst jedenfalls mit mehr Intensität. Das höre sogar ich .«
»Danke«, sage ich.
»Hast du keinen Hunger?« fragt sie.
»Doch«, sage ich.
Sie lädt mich zum Essen ein, sagt, das sei sie mir schuldig. Wir haben an diesem Tag schon dreimal miteinander geschlafen, sie will, daß wir uns wie Hauswirtin und Untermieter benehmen, und jetzt lädt sie mich zum Essen ein?
»Du schuldest mir gar nichts«, sage ich, und mir fällt auf einmal ein, was sich am Vortag ereignet hat, was für sie zu schwer war, um darüber zu sprechen. Und da kommt mir ein unangenehmer Gedanke: Ist alles, was ich heute erlebt habe, für sie nichts anderes als eine Wiedergutmachung dafür, daß ich sie auf dem Rücken fast den ganzen Weg vom Brunkollen bis heim zum Elvefaret geschleppt habe? Wollte sie schlicht und einfach nett zu mir sein? Einem Jungen in seiner Not helfen? Ihm das Beste anbieten, das er sich vorstellen kann, wie ein Dessert?
»Doch, ich schulde dir viel«, sagt sie.
Ich komme mit in die Stadt, mag ihre Art, sich weder um Make-up noch um modisches Aussehen zu kümmern. Abgewetzte Jacke, Schultertasche und Jeans. Sie gehört wirklich zu den politisch Radikalen, sympathisiert vermutlich mit der neuen Bewegung der Marxisten-Leninisten, trotz der Zugehörigkeit ihrer Familie zur Arbeiterpartei. Ich denke weniger an Anja, wenn ich neben ihr gehe. Vorher war Anja deutlich und Marianne Skoog im Schatten. Jetzt sind die Rollen vertauscht.
In der Straßenbahn hält sie meine Hand, aber als wir an der Haltestelle Nationaltheatret die Treppen hinaufgehen, zieht sie die Hand weg und sagt schnell, fast beklommen:
»Wir sollten in der Öffentlichkeit unsere neue Beziehung nicht allzu deutlich zeigen, wenn du verstehst, was ich meine. Die Leute kennen meine Situation, und es könnte verwunderte Fragen geben. Hast du den Film »Reifeprüfung« mit Anne Bancroft und Dustin Hoffmann gesehen? Die alte Hexe und der unsichere Schuljunge? Ich will nicht Bancroft sein. Und du kannst ohnehin nicht Hoffmann sein.«
Ich merke, daß ich mich ein bißchen verletzt fühle, daß ich mich erneut frage, was sie mit mir vorhat.
»Wir gehen ins Theatercafé«, sagt sie. »Warst du da schon einmal?«
»Nein, nie«, sage ich. »Vater hat mich an meinem achtzehnten Geburtstag dorthin eingeladen, aber ich habe abgelehnt.«
»Und was machst du jetzt?«
»Ich sage: ja, gerne.«
Sie ist jedenfalls schon öfter im Theatercafé gewesen. Der Mann in der Garderobe verbeugt sich vor ihr. Am Eingang stehen andere Männer, die sie anerkennend mustern. Sie bewegt sich mit der größten Selbstverständlichkeit in diesem Milieu. Hier kommt die sozialistische, emanzipierte Ärztin,in ihrer Begleitung hat sie einen Jungen. Ich finde es merkwürdig, daß sie hierhergeht, in das berühmteste Lokal Norwegens, wenn sie eigentlich nicht mit mir zusammen gesehen werden will. Sie ist heute in viel besserer Verfassung als gestern. Und ich glaube nicht, daß das mein Verdienst ist.
»Es ist angenehm, hier zu sein«, sagt sie und nimmt meinen Arm, »denn hier sind alle so selbstverliebt, daß sie mehr als genug mit sich beschäftigt sind. Das bedeutet, wir sind ungestört.«
Ich glaube ihr nicht, habe aber
Weitere Kostenlose Bücher