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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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fremden Leute, erträgt nur mit Mühe meine Studenten.« Macht sie das bewußt? frage ich mich, daß sie auf getrennte Schlafzimmer hinweist?
    Flaschen stehen bereit. Whisky. Gin. Asbach Uralt. Tonic Water und Soda.
    »Worauf habt ihr Lust?« sagt Selma Lynge und schaut Marianne Skoog fragend an.
    »Gin Tonic«, sagt Marianne Skoog.
    »Für mich auch«, sage ich.
    »Junge Männer sollten keinen Branntwein trinken«, sagt Selma Lynge.
    »Ich trinke fast nie Branntwein«, sage ich.
    »Für mich auch Gin Tonic«, sagt Torfinn Lynge.
    Selma Lynge bereitet die Drinks vor. Für sich nimmt sie ebenfalls einen Gin Tonic und mischt den stärksten Drink.
    Dann setzen wir uns. Ich folge Marianne Skoogs Blick. Sie schaut sich um, wirkt aber eigentlich nicht interessiert.
    »Ist das ein guter Flügel?« sagt sie.
    »Fragen Sie Aksel«, sagt Selma Lynge, als habe sie mich zu ihrem Sprachrohr erkoren.
    »Ja«, sage ich. »Sehr gut.«
    »Genauso gut wie Anjas?«
    »Es sind die gleichen Spezialisten, die ihn warten. Aber Bösendorfer beruht auf einer anderen Philosophie als Steinway.«
    »Das wollen wir jetzt nicht vertiefen«, sagt Selma Lynge.
    Über was in aller Welt sollen wir reden? denke ich. Torfinn Lynge sitzt auf der äußersten Kante seines Stuhls, scharrt mit den Füßen und blickt zu Boden. Er will die Konversation ganz offensichtlich seiner Frau überlassen.
    »Wie schön, daß Aksel bei Ihnen ein Zimmer mieten konnte«, sagt Selma Lynge.
    »Das paßt mir auch sehr gut in meiner Situation«, sagt Marianne Skoog.
    »Ihre schweren Schicksalsschläge haben uns zutiefst getroffen«, sagt Selma Lynge ernst.
    »Es war ein Teufelskreis«, sagt Marianne Skoog ruhig. »Ich mache mir selbst Vorwürfe, daß ich nicht früher gemerkt habe, wie gefährlich es war.«
    »Wir brauchen nicht darüber reden«, sagt Torfinn Lynge verlegen und blickt vom Boden auf.
    »Wir können gerne darüber sprechen«, sagt Marianne Skoog.
    »Anja war ein ganz besonderes Talent«, sagt Selma Lynge. »Ja, aber sie hatte keine Kindheit«, sagt Marianne Skoog. »Sie hatte Eltern, die sie vom ersten Augenblick an wie eine Gleichaltrige behandelten. Vielleicht war ich zu jung, um zu verstehen, was sie brauchte. Wenn man als Achtzehnjährige Mutter wird, macht man die Tochter leicht zur Freundin.«
    »Anja war für Sie eine Freundin?«
    »Ja. Ich habe nicht daran gedacht, daß ich sie erziehen müßte. Sie hatte ihren eigenen, starken Willen. Als sie fast aufgehört hatte, zu essen, habe ich das nicht gesehen. Ist es nicht paradox, daß man mit einem zu großen Respekt für den anderen einen Menschen töten kann?«
    »Aber Sie haben doch Anja nicht getötet«, sagt Selma Lynge, ebenso schockiert wie ich über Marianne Skoogs plötzliche Offenheit.
    »Es kommt mir aber so vor«, sagt Marianne Skoog. »Und indirekt trage ich auch für den Tod von Bror, meinem Mann, die Verantwortung. Ist es erlaubt, hier zu rauchen?«
Der Rest der Geschichte
    Es wird still im Zimmer. Keiner weiß, was er sagen soll. Wir rauchen, alle vier. Nur Marianne Skoog dreht sie selbst. Keiner ist in der Lage, das, was Marianne Skoog sagte, zu kommentieren. Wir entziehen uns. Wir tragen Beige , wie Marianne Skoog sagen würde. Die Farbe Beige wählen heißt keine Stellung beziehen. Undeutlich werden. Im Kamin brennt ein Feuer. Das Zimmer ist gemütlich, aber die Stimmung angespannt. Selma Lynge fängt wieder an, über Flügel zu reden, sagt, sie sei so froh, daß ich während der Monate vor dem Konzert ein derart gutes Instrument zum Üben habe. Das wird ein großes Ereignis werden. Ich höre ihre Worte, verstehe sie aber nicht, spüre nur die vibrierende Stimmung. Wir sitzen nebeneinander, Marianne Skoog und ich. Da nehme ich ihre Hand, als Selma Lynge gerade zu einem ihrer üblichen Monologe ansetzt. Selma Lynge sieht es und wird still. Jetzt weiß sie, daß mehr zwischen uns ist, denke ich.
    »Ich bin so froh, daß Aksel bei Ihnen studiert«, sagt Marianne Skoog und wirft Selma Lynge einen herzlichen und aufrichtigen Blick zu.
    »Ich will versuchen, ihm bei seinem großen Projekt behilflich zu sein, genauso wie ich versucht habe, Anja zu helfen. Es ist die Aufgabe eines Pädagogen, sich in die Eigenart des Schülers einzuhören. Ich weiß, daß Aksel für etwas Großes bestimmt ist. Er hat eine Art von Feingefühl, die beinahe greifbar ist.«
    »Das weiß ich«, sagt Marianne Skoog.
    »Und deshalb«, fährt Selma Lynge fort, »ist es meine Aufgabe, ihm Stärke zu geben, ohne dieses

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