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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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absolutem Wert? Das ist ein uns Katholiken fremder Gedanke, weißt du.«
    »Ja«, sagt Marianne Skoog. »Das weiß ich. Und deshalb habe ich nicht nur indirekt, sondern auch direkt die Verantwortung für Bror Skoogs Tod.«
    »Sei vorsichtig, was du jetzt sagst, Marianne«, sagt Selma Lynge warnend. Ich sehe, daß sie es gut meint. Bis jetzt war das Gespräch immer noch im Rahmen des Normalen geblieben. Aber Marianne Skoog ist es, die bestimmt, die die Prämissen festlegt. Plötzlich dreht sie sich zu mir. Ich merke, daß sie bewegt ist von dem, was sie jetzt erzählen will. Sie küßt mich auf den Mund. Sie tut es demonstrativ, aber nicht, um Selma und Torfinn Lynge zu ärgern. Sie tut es nicht einmal, um die Art unserer Beziehung zu demonstrieren. Sie tut es, um mir zu zeigen, was ich ihr bedeute.
    »Habt ihr wirklich … eine solche Beziehung«, murmelt Selma Lynge still.
    Marianne Skoog überhört es. Sie ist schon zu weit in ihrer eigenen Geschichte. Aber ich habe ihren Lippenstift auf meinen Lippen. Dazu den Geschmack nach selbstgedrehter Zigarette, Bier und Braten. Das Gespräch ist ins Stocken geraten. Ich begreife, daß es meine Aufgabe ist, jetzt zu fragen.
    »Die Verantwortung für Bror Skoogs Tod?« sage ich.
    »Danke«, sagt Marianne Skoog jetzt fast dankbar. Wieder schaut sie mich an. Der Blick ist forschend und kommt von weit her. Als vermittle ihr etwas hier im Zimmer Verläßlichkeit, etwas, das mit Selma Lynge und mir zu tun hat. Vielleicht erkennt sie, daß Selma Lynge besser ist, als sie dachte. Daß es mir bei ihr gutgehen werde.
    »Die Verantwortung für Bror Skoogs Tod«, sagt Marianne Skoog. »Ich konnte ja meine Geschichte nicht fertig erzählen. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, daß ich das jetzt tun sollte.«
    »Bist du dir ganz sicher?« frage ich.
    »Das betrifft auch Selma. Entschuldigst du mich, Torfinn?«
    »Natürlich«, sagt Torfinn Lynge. Er hat den Kopf gehoben, schaut nun Marianne Skoog direkt in die Augen. Sogar seine Haare haben sich in Fasson gelegt.
    »Die Verantwortung für Bror Skoogs Tod«, wiederholt Marianne Skoog. Sie macht eine Pause, denkt nach. Wir sind mit dem Essen fertig. Torfinn Lynge schenkt Bier ein und einen Korn. Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Die Möglichkeit des Gesprächs.
    »Aksel, du kennst die Vorgeschichte, aber was ich jetzt erzähle, ist für alle hier wichtig, weil so viele Gerüchte über Bror Skoog und Anja kursierten.«
    »Was für Gerüchte?« fragt Selma Lynge.
    »Daß er eine Grenze überschritten hat«, sagt Marianne Skoog und blickt mir direkt in die Augen. »Daß er siemißbraucht hat. Daß es ein sexuelles Verhältnis zwischen Vater und Tochter gegeben hat. Und obwohl ich so eng mit ihnen zusammengelebt habe, weiß ich nicht, ob an diesen Gerüchten etwas Wahres ist.«
    Sie sagt das vor allem zu Selma und Torfinn Lynge. Dann wendet sie sich wieder mir zu.
    »Doch selbst, wenn es sich herausstellen sollte, daß Bror die Hauptverantwortung dafür hat, daß Anja vor unseren Augen verwelkte, so ist das trotzdem kein Grund, daß er sich das Leben nahm. Ich weiß, daß ihr das glaubt, daß er sich mit dem Selbstmord bestrafen wollte. Aber die wenigsten Männer denken und handeln so. Laßt mich erzählen, was geschehen ist. Ich möchte, daß ihr es wißt, und es gibt nur einen Menschen auf der Welt, der davon weiß. Bis jetzt war ich noch nicht imstande, es zu erzählen, alles war zu frisch, wie die Psychologen sagen.«
    Marianne Skoog holt tief Luft.
    »Wir müssen noch mal zurück nach Woodstock«, sagt sie. »Ich bin mit einer Freundin dorthin gefahren und wollte, Aksel weiß es, dort Joni Mitchell hören. Ihre Lieder bedeuten mir viel. Aber sie kam nicht zu dem Festival, was mich zunächst sehr enttäuscht hat. Später spielte es keine Rolle mehr. Ich war trotzdem in einer Frauenwelt. Ich hatte meine Freundin, sie ist Medizinerin wie ich, eine kluge und phantastische Hautärztin. Sie weiß über Oberflächen Bescheid und daß das, was außen entsteht, von innen kommt. Beide waren wir vor unseren Männern geflohen, vor unseren Familien. Beide hatten wir damit Probleme. Es ist sicher kein Geheimnis, daß Bror und ich uns seit Jahren auseinandergelebt hatten. Woodstock war also eine faszinierende Erfahrung für meine Freundin und mich.«
    Nach einer kurzen Pause, in der sich Marianne Skoog eine Zigarette dreht, fährt sie fort. »Meine Freundin und ich fingen ein Verhältnis an. Wir waren zwar schon vorher intimmiteinander,

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