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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Delikatessenladen, sie gönnte sich einen Nudelsalat und dazu eine Flasche Wein, den der Mann hinter der Theke als einen ausgezeichneten kalifornischen Chardon nay bezeichnete. Sie würde gut essen, ein bisschen lesen. Am späteren Abend lief im Fernsehen ein Football-Spiel, das sie sich bis zum Einschlafen ansehen konnte. Das war eine heimliche Passion. Sie schmunzelte; sie verbarg ihre Football-Leidenschaft vor ihren Arbeitskollegen. Sie fühlten sich durch ihre weibliche Kompetenz wahrscheinlich schon genug bedroht. Wenn sie dann auch noch ihr Spiel für sich in Anspruch nahm … Da genoss sie lieber heimlich. Zum Beispiel indemsie nur
eine
Eintrittskarte kaufte, im Orange Bowl in der unteren Preisklasse saß oder zu Hause blieb und sich allein vor ihrem Fernseher in einen Sessel plumpsen ließ, wobei das einzige Zugeständnis an ihr Geschlecht vielleicht darin bestand, dass sie aus einem langstieligen Kristallglas Weißwein trank statt helles Bier aus der Dose. Immerhin trug sie die für den Anlass passende Kleidung. Spielten die Dolphins, zog sie ihr grün-orangefarbenes T-Shirt hervor und schwitzte nicht weniger vor Spannung als ein Mann. Ihr war durchaus bewusst, dass ihr Benehmen ein bisschen albern war, womit sie aber leben konnte, da sie niemandem schadete und ihren Spaß dabei hatte. Sie musste daran denken, wie Susan etwa vor einem Jahr einmal sonntags bei ihr vorbeigeschaut hatte und mit offenem Mund Zeuge geworden war, wie Detective Barren unter häufigen Flüchen in ihrem Wohnzimmer auf und ab wanderte, bis ein fast fünfzig Meter weiter Sprungtritt vom Kicker der Dolphins sie in den letzten Spielsekunden von ihren Qualen erlöste. Bei der Erinnerung musste Detective Barren grinsen.
    »Wenn die wüssten …«, hatte Susan gesagt.
    »Sch, das bleibt unser süßes Geheimnis«, hatte ihre Tante sie unterbrochen. »Dass du das keinem weitererzählst.«
    »Ach, Tante Merce«, hatte Susan schließlich gesagt, »wieso wird man aus dir eigentlich nie schlau?« Und dann hatten sie sich umarmt. »Aber wieso Football? Wieso Sport?«, hatte ihre Nichte gebohrt.
    »Weil wir alle im Leben unsere Siege brauchen«, hatte Detective Barren erklärt.

3.
    In den folgenden Tagen kämpfte Detective Barren gegen den Drang an, im Morddezernat des Bezirks anzurufen. Während sie ihre eigenen Fälle bearbeitete und Beweismaterial auswertete, stellte sie sich vor, was bei den Kollegen passierte. Sie sah Beamte vor sich, die dem Killer wie ein Schatten folgten, während andere seine Wohnung ausfindig machten, einer Vielzahl an Zeugen sein Foto zeigten und all die kleinen Puzzleteile eines Kriminalfalls zusammensetzten.
    Etwa zehn Tage nach Susans Ermordung saß Detective Barren im Zeugenstand, um in einem Mordfall auszusagen. Ausgehend von den Fundorten der Patronenhülsen in dem Haus, in dem ein Drogendealer und seine Freundin ermordet worden waren, hatte Detective Barren den Tathergang rekonstruiert. Ihre Aussage war wichtig, aber nicht entscheidend; folglich ritt der hochdotierte Anwalt des Auftragskillers im Kreuzverhör keine aggressive Attacke, sondern versuchte es mit hartnäckigem Bohren.
    Sie wusste, dass ihre Fakten keine Angriffsfläche boten; doch sie musste dafür sorgen, dass der Mann die Geschworenen nicht allzu sehr verwirrte und die Wirkung ihrer Darlegung verpuffen ließ.
    Sie hörte, wie der gegnerische Rechtsbeistand seine nächste Frage stellte:
    »Was haben Sie aus der Lage der Patronen für den Standort des Mörders geschlossen?«
    »Wenn Sie sich bitte die als Beweisstück zwölf geführte Skizze ansehen wollen, Herr Verteidiger, dann sehen Sie, dass sie fünfzig Zentimeter von der Schlafzimmertür entfernt gefunden wurden. Eine Neun-Millimeter-Browning wirft in einemregelmäßigen Abstand Hülsen aus. Folglich ist es mit geradezu wissenschaftlicher Präzision möglich zu bestimmen, wo genau der Schütze stand.«
    »Könnten sie nicht weitergerollt sein?«
    »In dem Teil des Raums liegt ein fünf Zentimeter dicker Veloursteppich, Herr Verteidiger.«
    »Haben Sie das nachgemessen?«
    »Ja.«
    Der Anwalt wandte sich seinen Notizen zu. Detective Barren musterte den Angeklagten, einen kleinen, drahtigen, kolumbianischen Einwanderer, der nur über wenige Kenntnisse verfügte, abgesehen von den verschiedenen Methoden, Menschen zu töten. Ebenso sicher, wie er mit seiner Verurteilung zu rechnen hatte, würde sein Nachfolger aus der nächsten Avianca-Maschine steigen, sobald die Sitzung geschlossen war. Killer

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