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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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auf der Insel zu tun. Freund von Ihnen?«
    »Na ja, Konkurrenz, trifft es wohl besser.«
    »Dann geht’s vermutlich um Immobilien. Ständig auf der Jagd, ständig dabei, euch gegenseitig auszustechen.«
    Sie hatte ihn nicht korrigiert. »Na ja, ist ein hartes Geschäft.«
    »Hier nicht. Hier verdienen sich alle eine goldene Nase.«
    Er hatte sich ihren Führerschein angesehen. »Kommt nicht alle Tage jemand aus Florida her. Vor allem New York, Washington, Boston. Nicht Miami.«
    »Ich arbeite für eine große Firma«, hatte sie gelogen. »Überall Zweigstellen.«
    »Na ja«, hatte der Angestellte gesagt, »ich finde, hier wird sowieso viel zu viel gebaut.«
    Sie hatte eine Spur Verärgerung herausgehört.
    »Tatsächlich?«, hatte sie erwidert. »Ich arbeite bei einer Firma, die sich auf die Renovierung von alten Anwesen spezialisiert. Nicht wie mein Kumpel Jeffers. Er macht in Motels und Eigentumswohnungen.«
    »Verdammt«, hatte der Mann geflucht. »Ich wünschte, ich hätte ihm den Wagen nicht gegeben.«
    »Was war es denn für einer?«
    »Ein weißer Chevy Celebrity. Kennzeichen acht-eins-sieben, dreimal J. Halten Sie die Augen offen.«
    »Danke«, hatte sie gemeint. »Mach ich. Hat er gesagt, wohin genau er wollte?«
    »Nee.«
    »Na ja, ich werde ihn jagen, bis ich ihn hab.«
    »Viel Glück. Und bringen Sie diesen Wagen bis morgen Abend um acht zurück, sonst kostet es extra.«
    Sie schaltete das Fernlicht ein und durchfuhr eine kleine Senke. Alle hundert Meter zweigte rechts eine unbefestigte Straße ab, und sie fluchte wütend vor sich hin, weil sie alle gleich aussahen. Nur weiter. Immer weiter. Such nach der Sandsenke, wie der Chief gesagt hat. Ein entgegenkommendes Fahrzeug blinkte, damit sie ihr Fernlicht ausschaltete. Schließlich gab sie nach, und der andere Wagen rauschte auf der schmalen Straße mit einem leisen Zischen vorbei. Sie hatte für einen Moment das Gefühl gehabt, als würden sie sich streifen, und war kurz in Panik geraten. Sie sah den roten Rücklichtern hinterher und war plötzlich wieder in Dunkel gehüllt.
    Sie starrte in die Nacht.
    »Es ist hier irgendwo«, sagte sie laut vor sich hin und fand den Klang ihrer Stimme tröstlich. »Ich weiß es.«
    Sie fuhr im Kriechtempo weiter.
    »Kommt schon, kommt schon, wo seid ihr?«
    Sie war allein und fühlte sich auf der pechschwarzen Insel wie auf hoher See. Sie starrte nach vorn und konnte kaum die Grenze zwischen Bäumen und Himmel erkennen. Es war, als baumelte sie hoch über dem Wasser und klammerte sich an die letzten Fasern eines reißenden Stricks. Sie merkte, wie sich ihr ganzer Körper anspannte, und war machtlos dagegen. Ich bin nah dran, dachte sie, ich bin ganz nah dran. Sie bekam schwer Luft, als sei plötzlich nicht genügend Sauerstoff im Wagen. Er ist hier, ich weiß es. Aber wo? Wo? Sie knirschte mit den Zähnen. Sie umklammerte das Lenkrad so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie erhob die Stimme und schrie gegen die Einsamkeit der Nacht an: »Komm schon, komm schon!«
    Und dann sah sie die Abzweigung.
    Anne Hampton saß am Tisch und starrte auf das vor ihr aufgeschlagene Notizbuch. Sie las die Worte: Ich tue diese Dinge, weil ich nicht anders kann, weil ich es will. Weil wir alle etwas in uns haben, das uns sagt, was wir tun müssen. Wenn wir es nicht tun, bringt der Wunsch danach uns um den Verstand.
    Die Antwort des jüngeren Bruders hatte sie daruntergeschrieben:
Du kannst dir helfen lassen. Es muss nicht sein
.
    Sie schüttelte den Kopf.
    So konnte er Douglas Jeffers nicht kommen, da tappte er völlig daneben. Sie betrachtete noch einmal ihre Notizen. Dieser Teil der Unterhaltung lag ein paar Stunden zurück. Vielleicht hat er sich ja inzwischen etwas Besseres einfallen lassen. Doch sie bezweifelte es.
    In ihren Augen schien der Bruder ganz und gar hilflos zu sein, unfähig, etwas zu begreifen, auf Konfrontationskurs und kaum in der Lage, einen vernünftigen Satz zu artikulieren, geschweige denn, den älteren Bruder dazu zu bewegen, die Waffe wegzulegen.
    Sie schloss die Augen. Das hätte ich ihm gleich sagen können, dachte sie. Ich hätte ihm sagen können, dass alles längst feststand, dass es keinen Ausweg gab, dass alles so ablaufen musste, wie Douglas Jeffers es schon vor geraumer Zeit ins Drehbuch geschrieben hatte, damals, in grauer Vorzeit, als sie noch Studentin war, die Tochter von ganz normalen Leuten, und nicht die Biographin eines Mörders.
    Anne Hampton überlegte ohne Angst und Panik, was jetzt

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