Der Fotograf
Dinge nur in die Länge. Es ist klüger, wenn du dich meinen Plänen fügst.«
»Bitte«, wiederholte sie. »Tun Sie mir nicht weh.« Sie hörte sich selbst reden. Die Worte brachen ungebeten, flehentlich und hilflos aus ihr heraus. »Ich mach alles, was Sie wollen.«
»Selbstverständlich tust du das.«
Er ließ die Augen nicht von ihr. Die absolute Gewissheit in seinem Ton traf sie wie ein Schlag.
»Was immer ich will.«
Wieder verstummte er.
»Aber das ist eine angelernte Reaktion. Konditioniert. Und die Lektion hat gerade erst begonnen.«
Er hielt die kleine, rechtwinklige Vorrichtung so hoch, dass sie sie sehen konnte. Sie zuckte unwillkürlich und versuchte zurückzuweichen. Er drückte auf einen Knopf an der Seite des Geräts, und sie sah, wie ein elektrischer Strom von einem Pol zum anderen sprang. »Damit hast du schon Bekanntschaft gemacht«, erklärte er. Plötzlich drangen ihr die Schmerzen im ganzen Körper ins Bewusstsein. Ihr entwich ein halb stöhnender, halb seufzender Laut. »Wusstest du, dass man so eine Betäubungspistole in Georgia, Alabama, Missouri, Montana und New Mexico und einem halben Dutzend anderen Bundesstaaten ohne Waffenschein kaufen kann? Man bekommt sie auch über den Versand, aber das ist leichter zurückzuverfolgen.Also, welche Verwendung hat man wohl für so ein Ding?«
Er fügte hinzu: »Außer Schmerzen zuzufügen?«
Sie merkte, wie ihre Unterlippe zitterte, und das Beben in ihrer Stimme war neu. »Bitte, ich tu alles, bitte.«
Er legte das Gerät weg.
»Es wäre kaum fair«, meinte er, »es noch einmal einzusetzen, nachdem du es schon zu spüren bekommen hast.«
Sie war ihm fast dankbar und schluchzte auf.
Als er plötzlich sein Gesicht ganz nah an ihres heranhielt, schnappte sie nach Luft.
»Aber stell dir eines vor«, zischte er. »Als ich dich vorhin damit außer Gefecht gesetzt habe, war es auf die niedrigste Stufe eingestellt. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn ich es hochdrehe? Stell dir die Schmerzen vor. Hat es sich so angefühlt, als ob jemand nach deiner Seele greifen und aus deinem Leib ziehen würde? Denk mal drüber nach.«
Die Vision schwarzer Höllenqualen erfasste sie in einer einzigen Woge. Sie hörte die Antwort des kleinen Mädchens.
»Ja, ja, ja«, rief sie. »Bitte, Gott!«
»Nicht beten«, wies er sie schroff zurecht.
»Nein, nein, tue ich nicht. Was immer Sie sagen. Bitte.«
»Nicht betteln.«
»Ja, ja, natürlich. Ja.«
»Denk einfach nur drüber nach.«
»Ja, ja, ja.« Sie nickte beflissen.
»Gut. Aber denk dran. Es ist nie weit weg.«
»Ich denk dran, ganz bestimmt.«
Plötzlich wechselte sein Ton. Er klang tröstlich.
»Hast du Durst?«
Ihr wurde bewusst, dass ihre Kehle ausgetrocknet war. Sie nickte. Er verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie hörte, wie einWasserhahn lief, dann kehrte er mit einem feuchten Handtuch zurück. Er begann, ihr damit über die Lippen zu streicheln. Sie sog daran.
»Ist es nicht faszinierend, dass uns etwas so Schlichtes wie ein in Wasser getränktes Handtuch so viel Erleichterung verschaffen kann …«
Sie nickte.
»Aber … derselbe Gegenstand, der uns Erleichterung verschafft, kann zugleich die größte Angst einflößen.«
Während er das sagte, drückte er ihr das Handtuch plötzlich auf Mund und Nase. Sie würgte, versuchte nach Luft zu schnappen und zu schreien, blieb aber unter dem nassen Handtuch stumm. O mein Gott!, dachte sie. Ich sterbe! Ich kann nicht atmen! Sie merkte, dass sie langsam erstickte, und plötzlich sah sie ihren Bruder vor sich, wie er sie über das Eis hinweg zu sich winkte. Es fühlte sich an, als würde ihr die Lunge aus der Brust gerissen. Sie verdrehte die Augen und zuckte unter den Fesseln, während sich in ihrem Kopf die Panik wie ein riesiges schwarzes Tuch ausbreitete.
Dann ließ er los.
Sie rang nach Luft und pumpte verzweifelt die Lungen voll. »Und jetzt wieder Erleichterung.« Er benutzte das Handtuch, um ihr die Stirn zu befeuchten. Sie schluchzte.
»Was haben Sie mit mir vor?«
»Wenn ich dir das verraten würde, wäre nichts Geheimnisvolles mehr daran.«
Ihr ganzer Körper wurde geschüttelt, und sie schluchzte hemmungslos
»Wieso?«
Er ignorierte sie und ließ sie eine Weile weinen.
Die Tränen versiegten, und sie sah ihn an.
»Noch mehr Fragen?«
»Ja. Nein. Ich kann nicht …«
»Schon gut«, beruhigte er sie sanft. »Ich hab damit gerechnet, dass du neugierig bist.«
Er dachte einen Moment nach. Die Zeit schien unterdessen
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