Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
zusammenschlagen, nie wieder ins Wasser zu gehen.
    Eigensinnig, dachte sie. Ein stures kleines Mädchen, das sein Versprechen hielt.
    Sie lachte. In über dreißig Jahren hat sich das kleine Mädchen kein bisschen geändert.
    Und wird es wohl auch nicht mehr.
    Wieder betrachtete sie das Bild. Sie lächelte. John hatte einen geschmeidigen, muskulösen Körper, der, wenn er nass war, in der Sonne glänzte. Sie dachte daran, wie ihr Vater ihn mit seiner unbehaarten Brust aufzog und dann die eigene schwellte, um in der Pose eines Bodybuilders seinen krausen schwarzen Pelz zur Schau zu stellen.
    Was für eine unbeschwerte Zeit.
    Sie betrachtete das Gesicht ihres Vaters. Er blinzelte in der Sonne ein wenig, so dass er wie ein Kobold aussah. Sie musste laut lachen.
    »Was«, fragte sie den Mann auf dem Bild, »würdest du zu diesem Fall sagen?«
    Die Mathematik, belehrte sie ihr Vater dann in akademisch trockenem Ton, sieht vor, dass man mit Hilfe einer logischen Abfolge von Daten zur Lösung gelangt. Doch das sei nicht immer der Fall: Zuweilen könne man ein Theorem auch durch Ausschluss des Gegenteils beweisen.
    Die Hoffnungslosigkeit traf sie wie ein Blitz, und sie zuckte zusammen.
    Es gab keine Möglichkeit zu beweisen, dass Sadegh Rhotzbadegh den Mord an Susan
nicht
begangen hatte.
    Eine negative Größe beweisen. Ihr Vater würde schmunzelndden Kopf schütteln. Also, würde er sagen, das erfordert wahrlich Grips, eine rein mathematische Argumentation.
    Sie hätte schreien können.
    Dann holte sie tief Luft und nahm einen Schluck Wein.
    Wütend dachte sie an die Logik des Beweises. Juristische Beweise. Beweise, die auch vor Gericht standhielten. Beweise, die einen Mordfall aufklärten. Indizien plus Gelegenheit gleich Schuldvermutung; letztendlich lief in einem solchen Fall das Fehlen einer gegenteiligen Hypothese auf eine Verurteilung hinaus. Die Hypotenuse im Quadrat ist gleich die Quadratsumme der beiden übrigen Seiten. Logik, dachte sie unwillkürlich, ist eine heimtückische Angelegenheit. Alle Logik deutet auf den Araber hin. Wir leben in einer Welt, die auf logischen Entsprechungen besteht. Jede Aktion zieht eine entsprechende Reaktion nach sich.
    Der Instinkt weist in eine ganz andere Richtung.
    Was hatte sie in der Hand? Einen Mord, der nicht so geschehen war, wie die Ermittler es gerne hätten. Einen Tatverdächtigen, der – von ein, zwei wichtigen Details abgesehen – nahezu perfekt ins Bild passt.
    Fang mit der Ursache des Dilemmas an, riet ihr Vater.
    Das war nicht weiter schwer, dachte sie. Und sie wusste auch schon, wohin sie am nächsten Morgen fahren würde. Sie war freudig gespannt und leerte ihr Glas Wein. Ein letztes Mal starrte sie auf das Foto in dem Album vor ihr auf dem Schoß.
    Zwei Wochen, nachdem ihre Mutter das Bild gemacht hatte, war der Sommer vorbei gewesen. Sie hatten Decken, Handtücher, Schirme und all das andere Reisezubehör in ihren alten, ramponierten Kombi verfrachtet. Der Verkehr war an diesem Labor-Day-Wochenende verheerend gewesen – Stoßstange an Stoßstange bei hundert Stundenkilometern. Sieerinnerte sich, wie ihr Vater unter milden Flüchen das Lenkrad packte und sich beschwerte, wenn die anderen Autos abschwenkten und ständig die Fahrspur wechselten. »Die legen es auf ein Massaker an«, meinte er. Das sagte er jedes Jahr, wenn sie nach den Ferien zusammenpackten und nach Hause fuhren. »Kein Wunder, dass so viele Menschen auf dem Highway sterben«, maulte er. »Sie haben den Verstand am Strand gelassen.«
    Aus einer Stunde wurden zwei, dann drei, und endlich bogen sie in ihre Straße und ihre eigene Einfahrt ein. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater, über das Lenkrad gebeugt, im besten Charles-Laughton-Akzent rief: »Heilige Zuflucht! Heilige Zuflucht!« und die erschöpfte Familie in den Jubel einfiel. Sie betrachtete noch einmal das Bild und sah im Geist vor sich, wie sie das Gepäck ausluden und ihre Mutter ihren Vater bat: »Wir haben nichts zu Essen im Haus, fahr doch zum Laden an der Ecke und besorg uns ein paar Hamburger.« Ihr Vater hatte genickt, war wieder eingestiegen, hatte gewinkt und gemurmelt: »Bin in ’ner Viertelstunde zurück.«
    Doch er kam nicht wieder.
    Sie und John hatten das Gepäck vom Vorgarten ins Haus geschleppt. Als sie in der Ferne die Sirenen von Polizei und Krankenwagen hörten, hatten sie sich nichts dabei gedacht, sondern nur kurz aufgeschaut und die nächste Fuhre in Angriff genommen.
    Zwei betrunkene Teenager hatten ein Stoppschild

Weitere Kostenlose Bücher