Der Frauenhaendler
die Stimme. Dem Tonfall nach zu urteilen ist sie nicht gerade gut gelaunt.
»Hallo.«
»Hier ist Bravo.«
»Ich dachte, Sie seien zuverlässig.«
»Das bin ich auch.«
»Von Ihrer Freundin, falls Sie die Dame als eine solche bezeichnen würden, kann man das allerdings nicht sagen.«
»Darf ich erfahren, was passiert ist?«
»Ich kann Ihnen vor allem sagen, was nicht passiert ist. Sie ist nicht erschienen.«
Scheiße.
»Ich entschuldige mich in ihrem Namen.«
»Entschuldigung angenommen, Bravo, aber Kontakt beendet.«
»Lassen Sie mich Abhilfe schaffen. Ich schicke Ihnen …«
Die Stimme unterbricht mich und lässt mir keine Chance zu einer Erwiderung.
»Ich hatte Sie gewarnt.«
Er beendet das Gespräch. Ich kann es ihm nicht verdenken. Niemand kann besser verstehen als ich, wie ernüchternd das ungestillte Verlangen ist. Ich frage mich, was wohl geschehen ist. Laura ist nicht der Typ, der jemanden sitzen lässt. Oder zumindest war sie es bis jetzt nicht. Überraschungen von Seiten der Tulpe, Friede seiner bösen Seele, konnten es jedenfalls nicht gewesen sein.
Also?
Mir schwirren ein paar deftige Flüche im Kopf herum, als ich Lauras Nummer wähle, und ich kann es kaum erwarten, sie loszuwerden. Das Telefon klingelt lange, aber es nimmt niemand ab. Nicht einmal der Anrufbeantworter springt an.
Ich lege wieder auf und drücke auf den Abhörknopf meines Anrufbeantworters. Das Band spult mit einem kläglichen Jammerton zurück. Dann kommen die Stimmen.
Piep.
» Bravo, hier ist Cindy. Ich bin wieder zu Hause, endlich. Gestern bin ich zurückgekommen. Amerika ist schön, aber ich fühle mich mittlerweile als Italienerin. Wann sehen wir uns? Ich habe eine Menge zu erzählen. Du vermutlich auch. Ich habe Kassensturz gemacht und hätte Lust, wieder zu arbeiten. Ruf mich doch kurz an, wenn du diese Nachricht hörst.
Piep.
Hier ist Barbara. Ferien vorbei. Ich bin wieder in Mailand. Hast du etwas Interessantes für mich? Einen Kuss, herrlicher Mann.
Piep.
Hier ist Laura. Ruf mich an.
» Ruf mich an. Scheiße, du dämliche Vollidiotin.«
Der Gedanke war mir unwillkürlich herausgerutscht, in einem Zischton. Als Antwort erhalte ich einen Kommentar.
»Wirst du mich auch so behandeln, wenn ich dir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlasse?«
Ich drehe mich um. Carla steht vor mir. Sie hat die Sachen gefunden, von denen ich gesprochen hatte. Auf einen Schlag ist alles anders. So leger die Kleidungsstücke auch sein mögen, dies ist eine andere Welt, eine andere Geschichte, ein anderer Film.
Eine andere Frau.
Sie trägt Jeans. An den Füßen Cowboystiefel aus hellem Gamsleder. Dazu ein blaues T-Shirt und eine Leinenjacke in derselben Farbe wie die Stiefel. Die feuchten Haare sind zurückgekämmt, und die Augen leuchten wie bunte Flecken im Schnee.
»Ich fühle mich wie ein Cowboy. Wie steht mir das?«
Ich schaue sie schweigend an, ohne zu antworten. Mir ist klar, dass ich mir selbst Schaden zufüge, aber ich kann nicht anders. Ich stelle mir vor, wie sie erst aussehen wird, wenn sich ein Friseur, ein Visagist und ein Modeschöpfer um sie gekümmert haben werden. Im selben Moment begreife ich, dass ich verloren bin.
Kapitel 8
Wir treten auf den Treppenabsatz, und ich ziehe die Tür hinter mir zu. Kaum ist sie geschlossen, öffnet sich plötzlich die Tür gegenüber. Im Spalt steht Lucio.
»Hier liegt der Hase im Pfeffer.«
Carla ist überrascht. Ich lächele. Das ist die Lösung des Kryptogramms, das ich am vergangenen Tag auf einen Zettel geschrieben und Lucio unter der Tür durchgeschoben hatte.
Scharfe animalische Rast (4, 5, 3, 4, 2, 7)
Hier liegt der Hase im Pfeffer, genau. Ich wusste, dass Chico, der Junge, der ihn jeden Tag zur Arbeit und hinterher wieder nach Hause brachte, kommen und es ihm vorlesen würde. Und dass er es lösen würde. Es war schließlich nicht allzu schwer. Jetzt schien es mir aber angebracht, zwei Personen vorzustellen.
»Carla, das ist Lucio, mein Nachbar.«
Sie schaut mich an und runzelt die Augenbrauen. Mit einer Handbewegung vor meinen Augen gebe ich ihr zu verstehen, dass er blind ist. Er kommt mit seiner nunmehr als vollkommen gerechtfertigt zu betrachtenden Sonnenbrille heraus und tritt einen Schritt auf uns zu.
»Lucio, die Dame, die mich begleitet, heißt Carla.«
Er streckt eine Hand aus.
»Hallo, Carla. Ich fürchte, du musst meine Hand selbst nehmen, sonst sieht es aus, als würde ich Topfschlagen spielen.«
Lucios Humor
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