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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Barbara – irgendwie außen vor, als würde er dabei verkümmern.
    Aber Barbara hatte mit diesem Abgang vollkommen über die Stränge geschlagen. Nun waren sie beide allein in ihren kleinen Kokons der Bitternis und der Rechtfertigungen, was immer dazu führte, daß sich die Dinge nicht zum Guten, sondern zum Schlechten wendeten. Jeder wußte das. Sie hatte diese Situation herbeigeführt, nicht er, und sie würde mit den Folgen leben müssen, ganz gleich, wie gravierend sie waren. Der Alkohol hatte sicher auch etwas damit zu tun, dachte Austin. Bei ihnen beiden. Im Moment lag eine Menge Spannung in der Luft, und Alkohol war eine natürliche Reaktion darauf. Er dachte aber nicht, daß einer von ihnen per se ein Alkoholproblem hatte – besonders er nicht. Aber er beschloß, während er an der Teakbar vor einem Glas Beefeater’s saß, so bald wie möglich mit dem Trinken aufzuhören.
    Als Austin nach draußen ging und den dunklen Parkplatz betrat, war Barbara nirgendwo zu sehen. Eine halbe Stunde war vergangen. Er dachte, er würde sie vielleicht im Auto finden, wütend oder eingeschlafen. Es war halb neun. Die Luft war kühl, und die Old Orchard Road war voller Autos. Als er zu Hause vorfuhr, waren alle Lichter aus, und Barbaras Auto, das sie vorm Büro stehengelassen hatte, als er sie abholte, stand nicht in der Garage. Austin ging ins Haus und durch die einzelnen Räume und machte überall Licht, bis er zum Schlafzimmer kam. Er öffnete vorsichtig die Tür, um Barbara nicht zu wecken, falls sie sich auf das Bett geworfen hatte und eingeschlafen war. Aber sie war nicht da. Das Zimmer war dunkel bis auf die Digitaluhr. Er war allein im Haus, und er wußte nicht, wo seine Frau war, wußte nur, daß sie ihn womöglich verließ. Wütend war sie auf jeden Fall gewesen. Das letzte, was sie gesagt hatte, war »Leck mich am Arsch«. Und dann war sie einfach gegangen – etwas, was sie vorher nie getan hatte. Man könnte, das war ihm klar, daraus schließen, daß sie ihn verlassen wollte.
    Austin goß sich in der hellerleuchteten Küche ein Glas Milch ein und überlegte sich, wie es wäre, vor einem Gericht zu genau diesen Szenen und Tatsachen und auch zu der unangenehmen Episode im Hai-Nun und den letzten Worten seiner Frau auszusagen. Vor einem Scheidungsgericht. Er sah sich an einem Tisch mit seinem Anwalt sitzen und Barbara an einem anderen Tisch mit ihrem Anwalt, und wie sie beide geradeaus auf den Richter blickten. In ihrer derzeitigen Verfassung wäre Barbara nicht von seiner Version der Geschichte zu überzeugen. Sie würde es sich nicht anders überlegen oder mitten im Gerichtssaal beschließen, die ganze Sache wieder zu vergessen, wenn er ihr erst einmal direkt in die Augen gesehen und nichts als die Wahrheit erzählt hatte. Obwohl eine Scheidung bestimmt keine gute Lösung wäre, dachte er.
    Austin ging zur Glasschiebetür, die in den Garten führte und zu den zaunlosen Gärten der Nachbarn, die jetzt alle in Dunkel getaucht waren – die gedämpfte Außenbeleuchtung der anderen Häuser und die Spiegelung seiner Küchenschränke und seiner eigenen Gestalt mit dem Glas Milch und des Frühstückstischs und der Stühle, alles verband sich zu einem perfekten halbdunklen Diorama.
    Auf der anderen Seite, dachte er (die eine Seite war ein halbherziger Scheidungsversuch, gefolgt von einer mißmutigen Versöhnung, wenn sie erst einmal eingesehen hatten, daß sie nicht den Mut zu einer Scheidung hatten), war er aus dem Schneider.
    Er war nicht gegangen. Sie war gegangen. Er hatte nicht allein sein wollen. Sie hatte allein sein wollen. Und folglich war er frei. Frei zu tun, was er wollte, ohne daß Fragen gestellt oder Antworten erwartet wurden, ohne Verdächtigungen oder Beschuldigungen. Ohne rechtfertigende Halbwahrheiten.
    Wenn Barbara und er sich früher gestritten hatten und er überlegt hatte, sich einfach ins Auto zu setzen und nach Montana oder Alaska zu fahren, um für den Forest Service zu arbeiten – und nie mehr zu schreiben oder anzurufen, ohne sich allerdings die Mühe zu machen, seine Identität zu vertuschen oder seinen Aufenthaltsort zu verbergen –, hatte er jedesmal festgestellt, daß er im entscheidenden Moment nicht den Mut hatte zu gehen. Seine Füße rührten sich einfach nicht vom Fleck. Und er hatte von sich selbst gesagt – und war auch stolz darauf gewesen –, daß Trennungen ihm nicht lägen. Jemanden zu verlassen war, das glaubte er, gewissermaßen wie Betrug – es wäre, als betröge er

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