Der Frauenheld
bedauert hatte. Aber er konnte einfach nichts dagegen tun. Ihm gefiel nicht, was ihm nicht gefiel, und er konnte nicht tun, was er nicht tun konnte.
Was er allerdings tun konnte, war, zu gehen. Nach Paris zurückzukehren. Sofort. Wenn möglich, heute abend noch, auf jeden Fall, bevor Barbara wieder nach Hause kam und sie beide erneut im Morast der ganzen Sache versanken und er wieder in den Problemen herumwaten mußte, daß er ein Arschloch war, und in den Problemen ihres ganzen Lebens. Er hatte das Gefühl, als hätte ein unsichtbarer Finger kräftig an einem feinen Draht gezupft, der zwischen seinen Zehen und seinem Nacken fest gespannt war, und ihn durchlief ein kalter Schauder, ein starkes Prickeln, das bis in seinen Magen und seine Fingerspitzen ausstrahlte.
Er setzte sich gerade in seinem Stuhl auf. Er würde jetzt gehen. Später würde er sich elend und verlassen fühlen, vielleicht wäre er dann pleite oder obdachlos, würde von der Sozialhilfe leben und an einer tödlichen Krankheit leiden, die in seiner Depression gründete. Aber jetzt fühlte er sich sprühend vor Leben, zu allem bereit, nervös vor Aufregung. Und das würde nicht ewig anhalten, dachte er, wahrscheinlich nicht einmal sehr lange. Das bloße Geräusch einer Taxitür, die draußen zugeschlagen wurde, könnte das ganze fragile Gebäude einstürzen lassen und seine Chance zu handeln zerstören.
Er stand auf und ging schnell in die Küche und bestellte sich ein Taxi, ließ dann den Hörer baumeln. Er ging noch einmal durchs Haus, prüfte alle Türen und Fenster, um sicher zu sein, daß sie verschlossen waren. Er ging ins Schlafzimmer, machte Licht, zerrte seinen Reisekoffer unterm Bett hervor, öffnete ihn und packte zwei Anzüge ein, Unterwäsche, Hemden, ein zweites Paar Schuhe, einen Gürtel, drei gestreifte Schlipse und seinen noch ungeleerten Waschbeutel. Als hätte ihm jemand Unsichtbares eine Frage gestellt, sagte er laut, im Schlafzimmer stehend: »Ich habe wirklich nicht viel dabei. Ich habe nur ein paar Sachen in einen Koffer geworfen.«
Er schloß seinen Koffer und trug ihn ins Wohnzimmer. Sein Paß lag im Sekretär. Er steckte ihn in die Hosentasche, holte einen Mantel aus dem Schrank neben der Haustür – eine lange Windjacke aus Gummi, die er aus einem Katalog bestellt hatte – und zog ihn an. Er nahm seine Brieftasche und die Schlüssel, drehte sich noch einmal um und blickte ins Haus.
Er ging jetzt. In weniger als zwanzig Sekunden wäre er fort. Höchstwahrscheinlich würde er nie wieder in diesem Eingang stehen, nie wieder diese Räume betrachten und sich so fühlen wie jetzt. Manches wäre vielleicht genauso, ja, ja, aber nicht alles. Und es war so leicht; in einem Augenblick steckt man noch völlig in einem Leben, und im nächsten ist man völlig draußen. Nur ein paar Dinge, die man zusammensuchen muß.
Eine Nachricht. Er hatte das Gefühl, er sollte eine Nachricht hinterlassen, und ging noch einmal schnell in die Küche zurück, grub einen leuchtendgrünen Notizblock für Einkäufe aus einer Schublade und kritzelte: »Liebe B« auf die Rückseite und wußte dann nicht mehr genau, womit er fortfahren sollte. Etwas Bedeutungsvolles würde Seiten um Seiten füllen und wäre dann gleichermaßen absurd wie irrelevant. Etwas Kurzes würde ironisch oder sentimental wirken und auf ganz neue Weise demonstrieren, was für ein Arschloch er war – eine Schlußfolgerung, die er mit dieser Notiz unanfechtbar widerlegen wollte. Er drehte das Blatt um. Auf der Rückseite war eine Einkaufsliste zum Ankreuzen gedruckt.
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Pain
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Lait
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Kaffee
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Œufs
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Gemüse
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Schinken
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Butter
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Fromage
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Les Autres
Er könnte » Les Autres « ankreuzen, dachte er, und »Paris« danebenschreiben. Paris war ohne Frage » autres «. Aber nur ein Arschloch würde so etwas tun. Er drehte das Blatt noch einmal um, wo »Liebe B« stand. Nichts, was ihm einfiel, war richtig. Alles schien für ihr Leben stehen zu wollen, konnte aber nicht für ihr Leben stehen. Ihr Leben war ihr Leben und konnte durch nichts anderes verkörpert werden als ihr Leben, nicht durch irgend etwas, was man auf die Rückseite einer Einkaufsliste kritzelte. Sein Taxi hupte draußen. Aus irgendeinem Grund griff er nach dem Hörer und hängte ihn wieder ein, und beinahe sofort begann das Telefon zu läuten – ein lautes, blechernes, schrilles, entnervendes Läuten, das die gelbe Küche erfüllte, als wären die Wände
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