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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Barbara. Als betröge er sich selbst. Man heiratete nicht, um dann wieder zu gehen, hatte er zu ihr gesagt. Er konnte in Wahrheit niemals auch nur ernsthaft darüber nachdenken zu gehen. Was den Forest Service anbelangte, konnte er sich immer nur den ersten Tag ausmalen – abends wäre er müde und voller blauer Flecken von der Arbeit, aber sein Kopf wäre frei von Sorgen. Was dann geschehen würde, darüber war er sich im unklaren – ein weiterer mühseliger Tag wie der vorangegangene. Und er kam dann zum Schluß, daß das bedeutete, er wollte nicht gehen; daß sein Leben und seine Liebe zu Barbara einfach zu stark waren. Nur Schwächlinge hauten ab. Und wieder mußten seine College-Kommilitonen als schlechtes Beispiel herhalten, diese feigen Abhauer. Alle hatten sich scheiden lassen, hatten Kinder aller Altersstufen über die ganze Landkarte verstreut. Nun schickten sie, von Reue zerfressen, routiniert und grimmig Schecks mit großen Summen nach Dallas und Seattle und Atlanta. Sie waren gegangen, und jetzt tat es ihnen reichlich leid. Aber seine Liebe zu Barbara war einfach mehr wert. Irgendeine Lebenskraft in ihm war zu stark, zu präsent, als daß er abhaute – und das bedeutete etwas, etwas Dauerhaftes und Wichtiges. Es war das, so fühlte er, wovon alle großen Romane, die je geschrieben worden waren, handelten.
    Es war ihm natürlich schon der Gedanke gekommen, daß er vielleicht bloß ein kriecherischer, feiger Lügner war, der nicht den Mut hatte, sich einem einsamen Leben zu stellen; der sich nicht allein durchschlagen konnte in einer komplexen Welt, die ihn mit den Konsequenzen seines eigenen Handelns konfrontierte. Obwohl auch das lediglich eine konventionelle Sichtweise des Lebens war, noch eine Sichtweise wie aus der Seifenoper, und davor wußte er sich zu hüten. Er war ein Bleiber. Er war ein Mann, der nicht das Offenkundige tun mußte. Er würde da sein und sich nicht vor den unangenehmen Konsequenzen im Tumult des Lebens drücken. Das war, dachte er, die eine ihm angeborene Charakterstärke.
    Aber jetzt hing er, merkwürdigerweise, in der Luft. Das »da«, wo er zu bleiben versprochen hatte, schien plötzlich in Einzelteile aufgelöst und verschwunden. Und das belebte ihn. Er hatte sogar das Gefühl, daß er, obwohl Barbara diese Situation herbeigeführt zu haben schien, sie vielleicht auch selbst verursacht haben könnte, obwohl sie wahrscheinlich ohnehin unvermeidlich war – etwas, was zwischen ihnen beiden hatte kommen müssen, ganz gleich, was die Ursache oder die Folgen waren.
    Er ging zum Getränkewagen im Wohnzimmer, goß etwas Scotch in seine Milch, ging wieder in die Küche und setzte sich auf einen Hocker vor die Glasschiebetür. Zwei Hunde trotteten durch das Lichtquadrat, das aus dem Fenster auf den Rasen fiel. Kurz danach liefen noch zwei Hunde vorbei – einer war der Spaniel, den er oft in der Nacht kläffen hörte. Und dann ein kleiner verwahrloster, einsamer Hund, der hinter den anderen vier herschnüffelte. Dieser Hund blieb stehen und schaute zu Austin hinein, blinzelte, trottete dann aus dem Licht und verschwand.
    Austin hatte sich vorgestellt, wie Barbara in einem teuren Hotelzimmer in der Stadt saß, Sekt trank, beim Zimmerservice einen Cobb-Salat bestellte und über die gleichen Dinge wie er nachdachte. Aber die bittere Empfindung, die ihm jetzt tatsächlich kam, war, daß er sich seit langem, wenn man es mal ganz nüchtern betrachtete, bei fast allem, was er getan hatte, im nachhinein nicht gut gefühlt hatte. Trotz guter Vorsätze und obwohl er Barbara so sehr liebte, wie seinem Empfinden nach überhaupt nur wenige Menschen jemanden liebten, und angesichts dessen, daß er fühlte, die Schuld zu tragen an allem, was in dieser Nacht passiert war, konnte er nicht leugnen, daß er seiner Frau jetzt nicht guttat. Er war schlecht für sie. Und wenn seine eigene klägliche Unfähigkeit, ihren offen zum Ausdruck gebrachten und vielleicht zum Teil berechtigten Klagen zu begegnen, nicht schon ausreichend Beweis für sein Versagen war, dann war es mit Sicherheit ihr eigenes Urteil. »Du bist ein Arschloch«, hatte sie gesagt. Und er kam zu dem Schluß, daß sie recht hatte. Er war ein Arschloch, und er war auch alles andere, und er haßte es, sich das sagen zu müssen. Das Leben änderte nicht einfach in irgendeinem Moment die Richtung, sondern man merkte auf einmal, daß es die Richtung bereits geändert hatte – später. Jetzt. Und er bedauerte es mehr, als er je irgend etwas

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