Der Frauenheld
er jetzt tun mußte. Er hatte sie gezwungen, ihn zu küssen. Sie hatte nachgegeben. Nun sollte sie frei sein zu tun, was sie wollte.
Josephine wandte sich eilig wieder ihrer Handtasche auf der Couch zu, und Austin ging ans Fenster und ließ den Blick über die unzähligen Bäume des Jardin du Luxembourg wandern. Die Luft war kühl und mild, und das Licht an diesem späten Nachmittag wirkte weich und schwer. Er hörte Musik, Gitarrenmusik von irgendwoher und den leisen Klang einer Stimme, die sang. Er sah einen Jogger, der durch das Parktor und auf die Straße unter ihm hinausrannte, und er fragte sich, was jemand, der ihn am Fenster stehen sah, wohl denken würde – jemand, der für einen Augenblick aus dem prächtigen Park hochblickte und einen amerikanischen Mann in dem Appartement einer Französin sah. Würde man gleich erkennen, daß er ein Amerikaner war? Oder würde er möglicherweise wie ein Franzose wirken? Würde er reich wirken? Würde man seinen zufriedenen Gesichtsausdruck erkennen? Er war sich beinahe sicher, daß man diesen Ausdruck erkennen würde.
»Ich muß jetzt zum Anwalt gehen«, sagte Josephine hinter ihm.
»Gut. Geh ruhig«, sagte Austin. »Komm bald wieder. Ich werde auf den kleinen Gene Krupa aufpassen. Dann werden wir uns einen schönen Abend machen.«
Josephine hatte ein dickes Bündel Papiere, das sie in eine Aktentasche aus Plastik stopfte. »Vielleicht«, sagte sie zerstreut.
Austin sah sich selbst, wie er mit Hank Bullard über dessen Air-Conditioning-Firma redete. Sie saßen in einem Café in einer sonnigen Seitenstraße. Hank hatte gute Nachrichten und bot ihm eine vielversprechende Partnerschaft an. Josephine ging eilig in den Flur hinaus, wobei ihre flachen Schuhe über die Dielen scharrten. Sie öffnete die Tür zu Leos Zimmer und sprach schnell und beruhigend auf ihn ein, ohne Austins Namen zu erwähnen. Dann schloß sie die Tür, ging ins Bad und benutzte die Toilette, ohne hinter sich zuzumachen. Austin konnte von dort, wo er im Wohnzimmer stand, nicht in den Flur sehen, aber er konnte hören, wie sie pinkelte, das kleine Rinnsal von Wasser, das auf Wasser traf. Es war ein Geräusch, das er tausendmal gehört hatte – Barbara schloß immer die Tür, und er tat es auch –, aber es war ein Geräusch, das er nicht besonders mochte und gewöhnlich zu hören vermied. Nicht, daß er zimperlich war, aber das Geräusch wirkte so alltäglich, so sachlich auf ihn, daß es ihm sein gutes Gefühl zu rauben drohte. Er bedauerte, es ausgerechnet jetzt hören zu müssen, er bedauerte, daß Josephine sich nicht die Mühe machte, die Tür zu schließen.
Einen Augenblick später war sie jedoch wieder draußen und in der Wohnzimmertür. Sie griff nach der Aktentasche, während das Wasser in den Leitungen rauschte. Sie warf Austin durch das Zimmer einen seltsamen, gehetzten Blick zu, als sei sie überrascht, daß er da war, und sich nicht ganz sicher, weshalb. Es war, so dachte er, ein Blick, den man einem unwichtigen Angestellten zuwarf, der etwas Unverständliches gesagt hatte.
»Also. Ich gehe jetzt«, sagte sie.
»Ich werde hier sein«, sagte Austin, sah sie an und fühlte sich plötzlich hilflos. »Komm schnell wieder, okay?«
»Ja, sicher. Okay«, sagte sie. »Ich beeile mich. Bis bald.«
»Bestens«, sagte Austin. Sie ging zur Wohnungstür hinaus und eilte über die hallenden Treppenstufen hinunter auf die Straße.
Eine Weile ging Austin in der Wohnung umher und schaute sich um – schaute sich Dinge an, die Josephine Belliard mochte oder die ihr besonders lieb waren oder sie behalten hatte, als ihr Mann auszog. Gegenüber der einen Seite ihres kleinen Schlafalkovens, den sie mit imitierten chinesischen Paravents aus Reispapier abgetrennt hatte, um sich zurückziehen zu können, war eine Bücherwand. Dort standen weiche französische Broschurbände, meist Bücher zu soziologischen Themen, aber es waren auch Bücher auf deutsch darunter. Über ihr bescheidenes Bett war eine saubere, sich bauschende weiße Tagesdecke gebreitet, auf der große daunige weiße Kissen lagen. Es gab kein Kopfbrett – bloß das niedrige Bettgestell. Es war schlicht, aber sehr ordentlich, dachte Austin. Ein Exemplar des schäbigen Romans ihres Exmanns in spe lag auf dem Nachttisch, und mehrere Seiten waren grob umgeknickt. Er glättete eine Seite und las dabei einen Satz, in dem eine Figur namens Solange bei jemandem namens Albert auf ziemlich unbeteiligte Art Fellatio ausführte. Er erkannte die
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