Der Frauenjäger
zupfte die Bügelfalten seiner Hose in Form. «Ich schätze, es war eine Harley. Der Kerl ließ Babs absteigen und den Motor noch einmal richtig aufheulen. Dann düste er weiter. Ich glaube, er hatte mich am Fenster gesehen. Aber in Lederkluft und mit Integralhelmen sehen die alle gleich aus. Da kann man nicht feststellen, ob so ein Kerl jung oder alt ist. Ehrlich gesagt könnte ich nicht mal beschwören, dass es ein Mann war. Davon gehe ich nur aus, weil Babs keine Lesbe ist. Der Helm war schwarz, einfach nur schwarz, ohne irgendwelchen Schnickschnack. Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Babs trug keinen Helm.» Er schüttelte tadelnd den Kopf und fügte an: «Unvernünftig. So ist sie immer.»
Dass Marlene mitten in seiner Küche stand, schien ihm noch nicht aufgefallen zu sein. Er schaute auf das Mädchen hinunter und zu dem Jungen hin. «Jetzt trödelt nicht herum, esst auf und dann ab ins Bett mit euch. Es ist spät genug.»
«Soll ich die Schuhe anlassen?», fragte das Mädchen. Es saß unverändert auf dem Fußboden und kaute in Zeitlupe auf einem Bissen Brot herum.
«Natürlich nicht», sagte Herr König, bückte sich erneut und versuchte noch einmal, die verknoteten Schnürsenkel zu lösen.
«Das Kennzeichen der Maschine haben Sie nicht gesehen?», erkundigte sich Karola.
«Das hat Heißler mich auch gefragt», antwortete er. «Aber so von schräg oben ist das im Dunkeln nicht einfach. Und wozu hätte ich mir den Hals nach dem Kennzeichen verrenken sollen? Ich habe doch nicht damit gerechnet, dass Babs wieder … Sie hat nichts gesagt. Damals, vor dreieinhalb Jahren, hat sie es angekündigt, mehr oder weniger, nicht so direkt. Nur dass sie mal rausmuss, hat sie mehrfach gesagt. Dass sie verrückt wird, wenn ich sie einsperre. Ich habe sie nie eingesperrt.»
«Natürlich nicht», stimmte Karola ihm zu.
Unvermittelt wurde er heftig, zerrte unbeherrscht an einem der Schnürsenkel, schlug mit der flachen Hand auf den Fußboden und schrie das Kind an: «Warum machst du immer Knoten rein? Ich kriege sie nicht auf! Diese verdammten Lederkerle, einem nach dem anderen könnte ich das Genick brechen. Und Heißler, ich hätte ihm sein verständnisvolles Grinsen aus dem Gesicht prügeln mögen. Ich soll mir keine Sorgen machen. Babs wäre bestimmt bald wieder da. Vom ersten längeren Ausflug sei sie ja auch zurückgekommen. Ja! Nach zwei Wochen! Jetzt sind es schon fünf. Ich konnte nur eine Woche Urlaub nehmen.»
Marlene konnte sich das Elend nicht länger anschauen. Ohne ein Wort griff sie nach seiner Schulter und zog ihn von demkleinen Mädchen fort. Dann ging sie in die Hocke, nahm dem Kind den Brotrest aus der Hand und kümmerte sich um die Schnürsenkel. Die Knoten waren nicht mehr zu lösen, nachdem Herr König so lange daran herumgefummelt hatte. Aber die Schuhe ließen sich auch so ausziehen.
«Danke», sagte Herr König einfach und setzte sich zu Karola an den schmuddeligen Tisch.
Marlene zog das Mädchen vom Boden hoch, nahm auch dem Jungen das ekelhafte Brot aus den Fingern und schob beide Kinder zur Tür. Weder Karola noch Herr König nahmen Notiz davon.
«Wo ist das Badezimmer?», fragte sie.
Es war ein Altbau, etwas verwinkelt. Hinter der Küche machte der Flur einen Knick, dort führte eine steile Treppe ins Obergeschoss. Der Junge zeigte zum Ende des Flures. Sie trug ihm auf, frische Wäsche für sich und seine Schwester zu holen, und schob das Mädchen vor sich her auf die bezeichnete Tür zu.
Das Bad dahinter war wider Erwarten sauber, die Handtücher auf einem Ständer neben der Wanne frisch. Nur beim Waschbecken hing eines, das sie nicht hätte anfassen mögen. Es fiel ihr bereits schwer, dem Mädchen beim Ausziehen zu helfen. Warum sie es tat, konnte sie nicht einmal sich selbst erklären. Irgendeiner musste eben etwas tun. Und davon verstand sie etwas.
Die Tür zum Flur hatte sie aufgelassen, die Küchentür stand ebenfalls offen. In der Küche leistete Karola theoretische Lebenshilfe, aber diese Kinder brauchten Praxis.
Der Junge kam mit frischer Unterwäsche und zwei schmuddeligen Schlafanzügen zurück. «Hol zwei saubere», verlangte Marlene, und er trottete folgsam wieder hinaus.
Ohne Anzeichen von Scham oder Scheu vor einer Fremden ließen sich beide Kinder baden, Haare waschen und abfrottieren. Beim Anziehen und Zähneputzen brauchten sie keineHilfe, nur die Ermahnung, dass es mit einmal Hin und Her nicht abgetan sei.
«Man putzt von Rot nach Weiß», erklärte
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